Didaktischer Kommentar |
Die
Beschäftigung mit der Nanotechnologie im naturwissenschaftlichen Unterricht
bietet die einmalige Chance, eine neue, revolutionäre Technologie
in ihrer Entwicklung zu verfolgen. Die Diskussion um die Chancen und Risiken
ermöglicht ein kritisches Bewusstsein und fördert das verantwortungsbewusste
Handeln beim Umgang mit Technologien. Im Zusammenhang mit einem Unterricht
über Atome erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Einblick
in die Vorstellungen über die Dimensionen der Systeme. Voraussetzung
zur Durchführung ist eine vorangegangene Einführung
in die Welt der Atome und ihrer Systeme.
In der Nanowelt treten neuartige Phänomene auf, die aus unserer Perspektive der sichtbaren Welt nur schwer zu verstehen sind. Dazu lassen sich eine Reihe von Experimenten durchführen, die diese Problematik verdeutlichen, aber (auf dem Niveau der Schüler) keine endgültigen Erklärungen für die tatsächlichen Vorgänge geben können. Die Versuchsreihe Ketchup, Stärke, Sand kann eingesetzt werden, um die merkwürdige Welt der Phänomene bei den Gelen aufzuzeigen. Bei der Durchführung der Experimente ist darauf zu achten, dass die Schülerinnen und Schüler selbst Fragen formulieren. Sie können Hypothesen und Vermutungen aufstellen und anhand der Experimente nach Antworten suchen. Es wäre an dieser
Stelle fatal, wenn wir als Lehrkraft eine vollständige "Erklärung"
der Phänomene mit Hilfe eines Modells geben, das aufgrund der tatsächlichen,
komplexen Zusammenhänge didaktisch auf Schülerniveau immer nur
unvollständig sein kann und letztendlich zu einer Überforderung
führt. Die Versuchsanleitungen hier bleiben hauptsächlich auf
der phänomenologischen Ebene - im Gegensatz zu anderen Autoren, die
"ein geeignetes Modell zur Deutung von Stoffeigenschaften
auf Teilchenebene" nutzen möchten [vgl.
Stäudel, S. 15 Lit 23]
Eine bedeutende Erkenntnis auf der Phänomene-Ebene wäre: Die
im System Wasser-Stärke-Gel enthalten
Strukturen lassen sich durch Krafteinwirkung von außen manipulieren.
Eine Störung des Systems von außen führt in diesem speziellen
Fall zu einer Verstärkung des Zusammenhalts.
Um eine Vorstellung der Größenverhältnisse zu vermitteln, kann die Folie "Dimensionen in der Nanowelt" eingesetzt werden. Nicht ganz unproblematisch sind die Bilder aus einem Rasterelektronenmikroskop (REM) bei den technischen Anwendungen. Man muss den Schülerinnen und Schülern bewusst machen, dass irgendwo zwischen der Mikrowelt und der Nanowelt das Auflösungsvermögen eines gewöhnlichen Lichtmikroskops aufhört und dass die Bilder aus Elektronenmikroskopen virtueller Art sind. Um das zu verstehen, kann man den Aufbau eines Rasterelektronenmikroskops besprechen. Das REM erstellt nur Schwarzweißbilder, die im Nachhinein durch eine Software koloriert werden. Dies ist umso problematischer, je kleiner die Strukturen sind. Bei den Noppen am Lotusblatt ist eine Kolorierung durch das REM legitim, da man die gleichen Farben und Strukturen auch in einem guten Lichtmikroskop noch sehen kann. Ob die dargestellten
Kohlenstoff-Nanoröhrchen schon
farbig sind, kann nicht beurteilt werden (vgl. Grenzen
der Miniaturisierung). Die Grenze, wo das System erst durch Zusammenwirken
seiner Teile mit anderen Systemen einen Farbeindruck erzeugt, dürfte
irgendwo in der Nanodimension liegen. Man sieht auf dem Bild auch keine
Kohlenstoff-Atome, wie das manchmal behauptet wird, sondern eine räumliche,
röhrenähnliche Struktur, die vom Elektronenstrahl bei der Rasterung
gemessen wird. Die Buckel stellen nicht die Atome dar, sondern sie entstehen
durch die Messung des Gebildes durch den Elektronenstrahl. Sie geben höchstens
als experimentell erzeugter "Schatten" der Atome einen Eindruck von ihrer
ungefähren Anordnung.
Das Phänomen des Lotoseffekts kann von Schülern experimentell ausprobiert und auch zum Teil verstanden werden. Hier sind die Bilder des Elektronenmikroskops aufschlussreich, auch wenn das Phänomen damit nicht vollständig erklärt wird. Die räumlichen Strukturen auf der Blattoberfläche des Lotosblattes deuten darauf hin, warum Wassertropfen und Schmutzteilchen nicht anhaften können. Die Versuche mit den kolloidalen Lösungen zeigen das Phänomen des Tyndall-Effekts. Die Kolloidteilchen sind Nanopartikel, die unter bestimmten Bedingungen dieses Phänomen zeigen. Das Kugel-Stäbchen-Modell der Seifenmicellen gibt ja nicht das "Aussehen" der Seifenmoleküke wieder - das wird den Schülern nach einer kritischen Auseinandersetzung mit Modellen beim Unterricht über die Atome auch klar sein - es verdeutlicht aber, dass die Moleküle Komponenten eines höheren Systems, der Micelle, darstellen. Die Versuche zum kolloidalen Gold und Silber sind vor allem deshalb interessant, weil das Goldrubinglas schon die Römer kannten. In Kirchen und Kathedralen kann man die Fenster gemeinsam mit den Schülern besichtigen. Das Bauen einer Farbstoffsolarzelle
zeigt eine typische, technische Anwendung auf, bei der nanoskaliges Titandioxid
eingesetzt wird. Hier kann man eine Diskussion über die Risiken
und den technischen Nutzen der Nanotechnologie beginnen. Auf Versuche
mit Aerosolen, die ungebundene Nanopartikel enthalten oder leicht freisetzen
können, wie Sprays, etc. wird vorläufig verzichtet, um jedes
Risiko bei Schülerinnen und Schülern auszuschließen. In
der Literatur sind viele weitere Versuche beschrieben.
Man kann mit Nanosilber zeigen, dass dieses Trinkwasser oder Lebensmittel
konserviert. In Outdoor-Shops ist beispielsweise eine nanoskalige Silbersalzlösung
zum Desinfizieren von Trinkwasser erhältlich. Ferrofluide kann man
zwar selbst herstellen, es ist aber zeitlich sehr aufwändig und nicht
ganz unproblematisch, da die Schüler das Fluid gerne verschütten.
Die Verschmutzungen sind dann nur schwer zu reinigen. Beim Experimentieren
mit den fertigen, käuflichen Ferrofluiden und starken Magneten lassen
sich schöne Strukturen von hoher Ästhetik erzeugen.
Es gibt käufliche Boxen und Experimentierkoffer zur Nanotechnologie (>Internetquellen). Fertiges Material verleitet allerdings dazu, nur die angegebenen Versuche streng nach Anleitung durchzuführen. Besser wäre es, die Koffer als eine von vielen Möglichkeiten einzusetzen, damit die Schüler auch eigene Experimente entwickeln und Variationen durchführen, beispielsweise bei den Experimenten zum Lotoseffekt. Wenn ein Rasterkraftmikroskop zur Verfügung steht oder ausgeliehen werden kann, dann kann man eigene Bilder herstellen und digital bearbeiten. |