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Friedrich Wilhelm Ostwald
 
Ostwald
 
geboren am 2. September 1853 in Riga
gestorben am 4. April 1932 in Leipzig
  
Leben und Werk

Wilhelm Ostwald wurde am 2. September 1853 als Sohn des Böttchermeisters Wilhelm Gottfried Ostwald in Riga geboren. Die heute zu Lettland gehörende Stadt war um diese Zeit Provinz des russischen Reiches. Der junge Wilhelm teilte nicht die Jagdleidenschaft des Vaters, er ließ sich lieber von seiner Mutter inspirieren, die ihn in das Stadttheater mitnahm oder in die Leihbücherei schickte. Trotzdem unternahm der Vater alles, damit seine Kinder eine ordentliche Schulbildung bekamen. 
  
Während der Schulzeit am Realgymnasium wurde Wilhelms Interesse an den Naturwissenschaften durch einen Lehrer namens Gotthard Schweder geweckt. Dessen "heiteres und wohlwollendes Wesen" machte auf Wilhelm Eindruck. Durch das ausgiebige Lesen von Büchern bildete er sich selbst weiter. Schon als Elfjähriger kaufte er bei einem "freundlichen Drogisten" Salpeter und Schwefel und stellte daraus Feuerwerkskörper her. Seine Eltern ließen ihn gewähren, selbst als einmal ein Satz Leuchtkugeln im Backofen abbrannte. Einen Brand im Haus erzeugte er nie, was vor allem daran lag, dass ihm durch das aufmerksame Lesen der Literatur die Gefahren bewusst wurden und er sehr sorgfältig arbeitete. Aufgrund der begrenzten Mittel lernte er, sparsam zu arbeiten und "die erforderlichen Behelfe tunlichst selbst herzustellen". Ein weiteres Hobby des jungen Wihelm Ostwald war das Sammeln von Käfern und Schmetterlingen und vor allem das Zeichnen und Malen. In der Nachbarschaft gab es einen Berufsmaler, in dessen Skizzenbüchern Wilhelm eifrig blätterte. "Ich sehnte mich unbeschreiblich, Ähnliches zu können, versuchte es aber vergeblich mit dem geringen und ungeeigneten Material, das mir zur Verfügung stand. Was war also auch hier anderes zu tun, als sich die gewünschten Farben selbst herzustellen!"  
  
In der Schule wettete Ostwald mit einem Mitschüler, dass er ein Foto von diesem mit Hilfe einer selbstgebauten Kamera machen könne. Diese Aufgabe war zu jener Zeit nicht leicht, das erforderliche Silbernitrat gewann er mit Hilfe konzentrierter Salpetersäure aus einem zerbrochenen Teelöffel, der "sich leider als sehr kupferreich" erwies, die als Trägersubstanz benötigte Kollodium- oder Schießbaumwolle bekam er vom freundlichen Drogisten und die Kamera baute er aus leeren Zigarrenkisten des Vaters, das Opernglas der Mutter diente als Objektiv. Die Beispiele aus Ostwalds Jugendzeit verdeutlichen eindrücklich, welche Voraussetzungen in der Jugendzeit notwendig sind, damit sich eine Begabung entfalten kann. Die Fremdsprachenkenntnisse des jungen Wilhelm Ostwalds ließen am Gymnasium sehr zu wünschen übrig. Seine Lehrer als fähige Pädagogen erkannten jedoch das Talent des späteren Nobelpreisträgers und förderten ihn in seinen Begabungen, so dass Wilhelm Ostwald die Schule im Jahre 1871 mit dem Abitur erfolgreich abschloss. 
  
Im Jahre 1872 begann Wilhelm Ostwald sein Chemiestudium an der Universität Dorpat (heute Tartu in Estland), 1879 promovierte er mit einer Arbeit über die Verwandtschaft von Säuren und Basen. Für seine Arbeiten entwickelte er mehrere Messgeräte: einen speziellen Pyknometer zur Bestimmung der Dichte von Flüssigkeiten oder einen Viskosimeter. 1880 heiratete er Helene von Reyher, aus der Ehe sollten fünf Kinder hervorgehen. Nach der Habilitation im gleichen Jahr erhielt er eine Stelle als Privatdozent. 1882 wurde Ostwald im Alter von nur 28 Jahren Professor am Polytechnikum in Riga (heute: Technische Universität). Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verfasste er das umfangreiche "Lehrbuch der allgemeinen Chemie". Dieses Buch beinhaltete den Kenntnisstand der physikalischen Chemie um 1885. Der Erfolg des Buches bestärkte Ostwald darin, als Hochschullehrer weitere fachdidaktische Publikationen zu veröffentlichen. Insgesamt gesehen sind Ostwalds Veröffentlichungen so umfangreich, dass im Rahmen dieses Portraits nicht alle genannt werden können. 1887 gründete Ostwald die "Zeitschrift für physikalische Chemie". 1889 erschien der "Grundriß der allgemeinen Chemie", im gleichen Jahr begann er mit der Herausgabe der berühmten Reihe "Ostwalds Klassiker". Bis 1987 erschienen 275 Bände, die die bedeutendste Werke der Naturwissenschaftler in Reprintform beinhalten. Ab 1995 wurden sie in einem Neudruck herausgegeben, der bis heute andauert. Ohne Ostwalds Vorarbeit hätten die hier vorliegenden Portraits nicht bewerkstelligt werden können. 
  
Als 1884 die Doktorarbeit von Svante Arrhenius über die Dissoziation von Salzen in Lösungen erschienen war, lud er seinen schwedischen Kollegen nach Riga ein. Ostwald besuchte Arrhenius auch in Uppsala, aus der Begegnung entstand eine lebenslange Freundschaft. Dadurch angeregt untersuchte Ostwald die elektrolytische Leitfähigkeit von Elektrolyten und untermauerte die Theorie der Dissoziation durch eigene Experimente. Zusammen mit Jacobus Hendricus van t'Hoff (1852-1911) in Amsterdam und Arrhenius in Schweden war Ostwald der bekannteste Elektrochemiker seiner Zeit. Er fasste die Erkenntnisse im 1896 erschienenen Werk "Elektrochemie. Ihre Geschichte und Lehre" zusammen. 
  
1887 erhielt Ostwald einen Lehrstuhl für physikalische Chemie an der Universität in Leipzig. 1888 formulierte er ein Gesetz, das als Ostwalds Verdünnungsgesetz in die Geschichte der Elektrochemie eingehen sollte. Ostwald erkannte einen Zusammenhang zwischen dem Dissoziationsgrad α, der eingewogenen Konzentration c0 und der Gleichgewichtskonstanten Kc: 
  
Ostwaldsches Verdünnungsgesetz
  
Nach diesem Gesetz nimmt der Dissoziationsgrad (der Zerfall in Ionen) mit abnehmender Konzentration in schwachen Elektrolyten zu. 
  
In Leipzig baute Ostwald sein Institut zu einer Schule von internationaler Bedeutung aus. Ab 1898 widmete er sich zunehmend den Vorgängen der chemischen Katalyse. Schon frühere Veröffentlichungen Ostwalds beschäftigten mit der katalytischen Spaltung des Methylacetats und des Zuckers. In einer Arbeit von 1888 beschrieb er die "Zersetzung der Ammoniaksalze durch Bromwasser". Durch weitere Versuche und Messungen bestätigt beschrieb Ostwald 1894 den Katalysator als einen "Stoff, der den Vorgang nicht erst hervorruft, sondern nur einen vorhandenen Vorgang beschleunigt". 1901 präzisierte er den Begriff: "Ein Katalysator ist jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit verändert."   
  
Noch vor 1900 schien es praktisch unmöglich, aus Luftstickstoff Stickstoffverbindungen herzustellen. Diese wurden jedoch als Düngemittel und als Rohstoff für die Sprengstoffherstellung dringend benötigt. Es ging auch darum, dass Deutschland von den Salpeterlieferungen aus Chile unabhängig wurde. 1898 gelang F. Rothe ein Herstellungsverfahren für Ammoniak aus elementarem Stickstoff und Calciumcarbid (>Rothe-Frank-Caro-Verfahren). Im April des Jahres 1900 wies Ostwald seine Laborassistenten an, "das Gemisch von drei Raumteilen Wasserstoff und einem Stickstoff über mäßig erhitzte Eisenbündel zu leiten und in den austretenden Gasen nach Ammoniak zu suchen". Sie konnten tatsächlich Ammoniak nachweisen und Ostwald meldete kurzerhand ein Patent  zur "Herstellung von Ammoniak und Ammoniakverbindungen aus freiem Stickstoff und Wasserstoff" an. Da Ostwald das Patent für viel Geld an die chemische Industrie verkaufte, war es nicht mehr seine Aufgabe, aus dieser Entdeckung ein wirtschaftlich rentables, industrielles Verfahren zu entwickeln. Er legte damit aber die Grundlage für die später von Haber und Bosch auf industriellem Niveau ausgetüftelte Ammoniaksynthese 

Ab 1901 machte sich Ostwald daran, ein Verfahren zu suchen, bei dem der Luftsauerstoff mit Ammoniak reagierte. Ausgangspunkt war ein Experiment, das er in Vorlesungen als Demonstrationsversuch einsetzte: 

"In ein Kelchglas werden einige Tropfen konzentrierte Ammoniaklösung gegossen. In das Gemisch von Luft und Ammoniakgas, welches im Glase entsteht, hängt man eine glühend gemachte Spirale von Platindraht. Dann glüht der Draht fort und das Glas füllt sich mit roten Nebeln von Stickstoffperoxyd. Es wurde also ein einfaches Gerät aufgebaut, welches ein möglichst vollständiges Aufsammeln der entstehenden Stickoxyde ermöglichte. Schon der erste Versuch ergab, dass mehr als die Hälfte des verbrannten Ammoniaks in Salpetersäure übergegangen war, wobei der Katalysator aus einem kleinen Streifen von Platinblech bestand, das mit Platinschwamm bedeckt war." (Ostwald in Lebenslinien, S. 289, Neudruck 2003) 
  
Bei weiteren Experimenten erkannte Ostwald, dass "das Gemisch nur so lange mit dem Platin in Berührung sein durfte, dass zwar die Verbrennung vollständig, aber noch keine Bildung von freiem Stickstoff eingetreten war. Es gibt also eine Berührungsdauer für den angestrebten Zweck..." 
  
Um den Laborversuch auf eine industrielle Anlage übertragen zu können, schloss Ostwald einen Vertrag mit der Sprengstoffindustrie. Mit der technischen Entwicklung beauftragte er Dr. Eberhard Brauer. Das Ergebnis jahrelanger Arbeit war die Entwicklung der Salpersäuresynthese nach dem Ostwaldverfahren. Für die von Ostwald entwickelten katalytischen Verfahren erhielt er 1909 den Nobelpreis für Chemie.  
  
Schon in den 1890er-Jahren hatte sich Ostwald mit den 1892 von J.W. Gibbs (1839-1903) veröffentlichten "Thermodynamischen Studien" beschäftigt. Nach Ansicht Ostwalds ließen sich die Erscheinungen der Materie rein auf energetische Prozesse zurückführen. Daher verleugnete er zunächst die Existenz der Atome und ersetzte den Begriff "Materie" durch den Begriff der "Energie". Die Atomisten bekämpfte Ostwald vehement. Dadurch geriet Ostwald in Konflikt mit Ludwig Boltzmann (1844-1906) und Max Planck (1858-1947). Erst im Jahr 1908 ließ sich der Naturwissenschaftler Ostwald wieder zum Atom bekehren, nachdem Joseph John Thomson (1856-1940) sein Thomsonsches Atommodell vorgestellt hatte. Ostwalds Verallgemeinerungen zur Bedeutung der Energie führten ihn zu einer philosophischen Weltanschauung. Noch bis 1914 erschienen dazu zahlreiche naturphilosophische Veröffentlichungen. Für die Naturwissenschaftler erschienen Ostwalds Ausführungen vor allem aufgrund der neuen Entdeckungen im Bereich der Atomphysik als "unwissenschaftlich". Aus ihrer Sicht war es problematisch, dass Ostwald eine philosophische Weltanschauung vertrat - beispielsweise übernahm er ab 1910 den von Ernst Haeckel (1834-1919) gegründeten Monistenbund. Eine Zielsetzung des Bundes war das Eintreten für eine von Dogmen freie Wissenschaft. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges musste Ostwald den Bund wieder verlassen, da seine politischen Ansichten für den Bund zu deutschpatriotisch waren.  
  
Ostwald setzte sich auch politisch für die Bedeutung der Wissenschaft ein. Schon um 1900 machte er sich für die weltweite Einführung der wissenschaftlichen Einheitssprache Esperanto stark. Dieses Sprache konnte sich aber nicht durchsetzen. 1911 engagierte er sich für das "Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit". Die 1913 aufgelöste Institution hatte sich zur Aufgabe gesetzt, eine Grundlage für die einheitliche Information und Dokumentation wissenschaftlicher Arbeit zu schaffen. 

Um was es Wilhelm Ostwald vielleicht wirklich ging, soll das folgende Zitat über das Verhältnis von objektiver Realität und Bewusstsein aufzeigen: 
  
"Einerseits entwickelt sich unser geistiges Leben unter beständiger Beeinflussung durch die äußeren Dinge und andererseits können nur diejenigen äußeren Dinge uns bekannt sein, also unsere Außenwelt bilden, die in irgend welcher Weise zu der Innenwelt ein Verhältnis haben (...) Wir können demgemäß die Außenwelt auch als die Summe von Erlebnissen bezeichnen, zu deren Entstehen die Sinnesorgane mitwirken (...) Die Existenz irgend eines Dinges können wir nur aussagen, wenn wir es erleben, wo dies ausgeschlossen wird, hat das Wort Existenz keinen Sinn mehr." (Ostwald in seinen Vorlesungen über die Naturphilosophie, Leipzig 1902) 
 
Dieses Zitat verdeutlicht auch, warum sich Wilhelm Ostwald mit der Malerei beschäftigte. Ostwald war zu jener Zeit einer der wenigen Naturwissenschaftler, der sich mit der Innenwelt des Menschen und der inneren Wahrnehmung auseinandersetzte. Er war damit seiner Zeit weit voraus. Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA ließ sich Ostwald 1906 vorzeitig in den Ruhestand versetzen und zog in einen Landsitz nach Großbothen in der Nähe von Leipzig. Im Alter beschäftigte er sich vor allem mit Farben und der Farbtheorie. 1904 gab er die "Malerbriefe" heraus. Diese beschäftigten sich mit den chemisch-physikalischen Eigenschaften von Pigmenten. So wies er beispielsweise auf die starke Giftigkeit des Pigments Bleiweiß hin und warnte die Maler vor gesundheitlichen Schäden.  
  
Nach Ende des Ersten Weltkrieges gründete er zusammen mit seinem Sohn Otto eine Firma, die Künstlerfarben herstellte. Das Sortiment aus 680 Farben wurde als "Farborgel" bezeichnet. In dem von ihm entwickelten Farbsystem bildeten 24 Farbtöne die Grundlage. Ostwald glaubte, er könne bei den Farben Gesetze in Analogie zur Harmonielehre der Musik entwickeln. In Ostwalds Farbkreis waren 24 Farben angeordnet. Sie wurden durch Mischung von acht Grundfarben gebildet: Gelb, Kreß (=Orange), Rot, Veil (=Violett), Ublau (=Ultramarinblau), Eisblau, Seegrün und Laubgrün. Die merkwürdigen Bezeichnungen "Kreß" oder "Veil" kamen dadurch zustande, weil man in Deutschland während des Ersten Weltkriegs französische Lehnwörter vermeiden wollte. Wenn man diese "bunten Vollfarben" mit Schwarz und Weiß mischte, erhielt man die "Grauleiter". Auf diese Art und Weise kamen die 24×28=672 Farben + die 8 Grautöne, also die 680 Farben des Ostwaldschen Systems zustande.  
  
Im Jahre 1925 kontaktierte Ostwald das Bauhaus in Dresden. In dieser Künstlergruppe, die Walter Gropius 1919 in Weimar gegründet hatte, arbeiteten beispielsweise Paul Klee, Lyonel Feininger, Johannes Itten oder Wassily Kandinsky. Auch wenn Ostwalds Farbensystem als interessante Variante angesehen und seine Farben gekauft wurden, konnten sich viele Künstler nicht mit der Vorstellung anfreunden, nach Normfarben malen zu müssen. An dieser Stelle stieß der Naturwissenschaftler Ostwald an seine Grenzen. Seine Behauptung, dass Farbharmonie als Ergebnis bestimmter geometrischer Gesetze entstehe, widerspricht in vielen Fällen dem subjektiven Empfinden. Die Farbe bleibt wohl ein Phänomen, das naturwissenschaftlich-mathematisch niemals vollständig erklärt werden kann. Trotzdem war Ostwalds Beitrag für die Ordnung der Farben und die Entwicklung moderner Farbsysteme von Bedeutung (vgl. >Phänomen Farbe). 
   
   
Empfehlenswerte Literaturquellen

  • Domschke, Jan-Peter und Lewandrowski, Peter: Wilhelm Ostwald - Chemiker, Wissenschaftstheoretiker, Organisator, Köln 1982
  • Glöckner/Jansen/Weissenhorn: Handbuch der experimentellen Schulchemie, Band 6, S. 21f. und Band 8, S. 151f., Köln 1994 und 2004
  • Ostwald, G.: Mein Vater, Berlin 1953
  • Ostwald, Wilhelm: Lebenslinien - eine Selbstbiographie, kommentiert von Karl Hansel, Stuttgart/Leipzig 2003
  • Ostwalds Klassiker der exakten Naturwissenschaften, ab 1889, 275 Bände bis 1987, Nachdruck: Frankfurt am Main ab 1995
  • Silvestrini, Narciso, Fischer, Ernst Peter: Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft, Köln 2002
  • Zott, Regine: Friedrich Wilhelm Ostwald; in Hoffmann, Dieter (Hg.), u.a.: Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler, München 2004
 

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