Leben und Werk
Wilhelm Ostwald wurde am 2. September 1853 als Sohn des Böttchermeisters Wilhelm Gottfried Ostwald in Riga geboren. Die heute zu Lettland gehörende Stadt war um diese Zeit Provinz des russischen Reiches. Der junge Wilhelm teilte nicht die Jagdleidenschaft des Vaters, er ließ sich lieber von seiner Mutter inspirieren, die ihn in das Stadttheater mitnahm oder in die Leihbücherei schickte. Trotzdem unternahm der Vater alles, damit seine Kinder eine ordentliche Schulbildung bekamen. Während der Schulzeit am Realgymnasium wurde Wilhelms Interesse an den Naturwissenschaften durch einen Lehrer namens Gotthard Schweder geweckt. Dessen "heiteres und wohlwollendes Wesen" machte auf Wilhelm Eindruck. Durch das ausgiebige Lesen von Büchern bildete er sich selbst weiter. Schon als Elfjähriger kaufte er bei einem "freundlichen Drogisten" Salpeter und Schwefel und stellte daraus Feuerwerkskörper her. Seine Eltern ließen ihn gewähren, selbst als einmal ein Satz Leuchtkugeln im Backofen abbrannte. Einen Brand im Haus erzeugte er nie, was vor allem daran lag, dass ihm durch das aufmerksame Lesen der Literatur die Gefahren bewusst wurden und er sehr sorgfältig arbeitete. Aufgrund der begrenzten Mittel lernte er, sparsam zu arbeiten und "die erforderlichen Behelfe tunlichst selbst herzustellen". Ein weiteres Hobby des jungen Wihelm Ostwald war das Sammeln von Käfern und Schmetterlingen und vor allem das Zeichnen und Malen. In der Nachbarschaft gab es einen Berufsmaler, in dessen Skizzenbüchern Wilhelm eifrig blätterte. "Ich sehnte mich unbeschreiblich, Ähnliches zu können, versuchte es aber vergeblich mit dem geringen und ungeeigneten Material, das mir zur Verfügung stand. Was war also auch hier anderes zu tun, als sich die gewünschten Farben selbst herzustellen!" In der Schule wettete Ostwald mit einem Mitschüler, dass er ein Foto von diesem mit Hilfe einer selbstgebauten Kamera machen könne. Diese Aufgabe war zu jener Zeit nicht leicht, das erforderliche Silbernitrat gewann er mit Hilfe konzentrierter Salpetersäure aus einem zerbrochenen Teelöffel, der "sich leider als sehr kupferreich" erwies, die als Trägersubstanz benötigte Kollodium- oder Schießbaumwolle bekam er vom freundlichen Drogisten und die Kamera baute er aus leeren Zigarrenkisten des Vaters, das Opernglas der Mutter diente als Objektiv. Die Beispiele aus Ostwalds Jugendzeit verdeutlichen eindrücklich, welche Voraussetzungen in der Jugendzeit notwendig sind, damit sich eine Begabung entfalten kann. Die Fremdsprachenkenntnisse des jungen Wilhelm Ostwalds ließen am Gymnasium sehr zu wünschen übrig. Seine Lehrer als fähige Pädagogen erkannten jedoch das Talent des späteren Nobelpreisträgers und förderten ihn in seinen Begabungen, so dass Wilhelm Ostwald die Schule im Jahre 1871 mit dem Abitur erfolgreich abschloss. Im Jahre 1872 begann Wilhelm Ostwald sein Chemiestudium an der Universität Dorpat (heute Tartu in Estland), 1879 promovierte er mit einer Arbeit über die Verwandtschaft von Säuren und Basen. Für seine Arbeiten entwickelte er mehrere Messgeräte: einen speziellen Pyknometer zur Bestimmung der Dichte von Flüssigkeiten oder einen Viskosimeter. 1880 heiratete er Helene von Reyher, aus der Ehe sollten fünf Kinder hervorgehen. Nach der Habilitation im gleichen Jahr erhielt er eine Stelle als Privatdozent. 1882 wurde Ostwald im Alter von nur 28 Jahren Professor am Polytechnikum in Riga (heute: Technische Universität). Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verfasste er das umfangreiche "Lehrbuch der allgemeinen Chemie". Dieses Buch beinhaltete den Kenntnisstand der physikalischen Chemie um 1885. Der Erfolg des Buches bestärkte Ostwald darin, als Hochschullehrer weitere fachdidaktische Publikationen zu veröffentlichen. Insgesamt gesehen sind Ostwalds Veröffentlichungen so umfangreich, dass im Rahmen dieses Portraits nicht alle genannt werden können. 1887 gründete Ostwald die "Zeitschrift für physikalische Chemie". 1889 erschien der "Grundriß der allgemeinen Chemie", im gleichen Jahr begann er mit der Herausgabe der berühmten Reihe "Ostwalds Klassiker". Bis 1987 erschienen 275 Bände, die die bedeutendste Werke der Naturwissenschaftler in Reprintform beinhalten. Ab 1995 wurden sie in einem Neudruck herausgegeben, der bis heute andauert. Ohne Ostwalds Vorarbeit hätten die hier vorliegenden Portraits nicht bewerkstelligt werden können. Als 1884 die Doktorarbeit von Svante Arrhenius über die Dissoziation von Salzen in Lösungen erschienen war, lud er seinen schwedischen Kollegen nach Riga ein. Ostwald besuchte Arrhenius auch in Uppsala, aus der Begegnung entstand eine lebenslange Freundschaft. Dadurch angeregt untersuchte Ostwald die elektrolytische Leitfähigkeit von Elektrolyten und untermauerte die Theorie der Dissoziation durch eigene Experimente. Zusammen mit Jacobus Hendricus van t'Hoff (1852-1911) in Amsterdam und Arrhenius in Schweden war Ostwald der bekannteste Elektrochemiker seiner Zeit. Er fasste die Erkenntnisse im 1896 erschienenen Werk "Elektrochemie. Ihre Geschichte und Lehre" zusammen. 1887 erhielt Ostwald einen Lehrstuhl für physikalische Chemie an der Universität in Leipzig. 1888 formulierte er ein Gesetz, das als Ostwalds Verdünnungsgesetz in die Geschichte der Elektrochemie eingehen sollte. Ostwald erkannte einen Zusammenhang zwischen dem Dissoziationsgrad α, der eingewogenen Konzentration c0 und der Gleichgewichtskonstanten Kc: Nach diesem Gesetz nimmt der Dissoziationsgrad (der Zerfall in Ionen) mit abnehmender Konzentration in schwachen Elektrolyten zu. In Leipzig baute Ostwald sein Institut zu einer Schule von internationaler Bedeutung aus. Ab 1898 widmete er sich zunehmend den Vorgängen der chemischen Katalyse. Schon frühere Veröffentlichungen Ostwalds beschäftigten mit der katalytischen Spaltung des Methylacetats und des Zuckers. In einer Arbeit von 1888 beschrieb er die "Zersetzung der Ammoniaksalze durch Bromwasser". Durch weitere Versuche und Messungen bestätigt beschrieb Ostwald 1894 den Katalysator als einen "Stoff, der den Vorgang nicht erst hervorruft, sondern nur einen vorhandenen Vorgang beschleunigt". 1901 präzisierte er den Begriff: "Ein Katalysator ist jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit verändert." Noch vor 1900 schien es praktisch unmöglich, aus Luftstickstoff Stickstoffverbindungen herzustellen. Diese wurden jedoch als Düngemittel und als Rohstoff für die Sprengstoffherstellung dringend benötigt. Es ging auch darum, dass Deutschland von den Salpeterlieferungen aus Chile unabhängig wurde. 1898 gelang F. Rothe ein Herstellungsverfahren für Ammoniak aus elementarem Stickstoff und Calciumcarbid (>Rothe-Frank-Caro-Verfahren). Im April des Jahres 1900 wies Ostwald seine Laborassistenten an, "das Gemisch von drei Raumteilen Wasserstoff und einem Stickstoff über mäßig erhitzte Eisenbündel zu leiten und in den austretenden Gasen nach Ammoniak zu suchen". Sie konnten tatsächlich Ammoniak nachweisen und Ostwald meldete kurzerhand ein Patent zur "Herstellung von Ammoniak und Ammoniakverbindungen aus freiem Stickstoff und Wasserstoff" an. Da Ostwald das Patent für viel Geld an die chemische Industrie verkaufte, war es nicht mehr seine Aufgabe, aus dieser Entdeckung ein wirtschaftlich rentables, industrielles Verfahren zu entwickeln. Er legte damit aber die Grundlage für die später von Haber und Bosch auf industriellem Niveau ausgetüftelte Ammoniaksynthese. Ab 1901 machte sich Ostwald daran, ein Verfahren zu suchen, bei dem der Luftsauerstoff mit Ammoniak reagierte. Ausgangspunkt war ein Experiment, das er in Vorlesungen als Demonstrationsversuch einsetzte: "In ein Kelchglas werden einige Tropfen
konzentrierte Ammoniaklösung gegossen. In das Gemisch von Luft und
Ammoniakgas, welches im Glase entsteht, hängt man eine glühend
gemachte Spirale von Platindraht. Dann glüht der Draht fort und das
Glas füllt sich mit roten Nebeln von Stickstoffperoxyd. Es wurde also
ein einfaches Gerät aufgebaut, welches ein möglichst vollständiges
Aufsammeln der entstehenden Stickoxyde ermöglichte. Schon der erste
Versuch ergab, dass mehr als die Hälfte des verbrannten Ammoniaks
in Salpetersäure übergegangen war, wobei der Katalysator aus
einem kleinen Streifen von Platinblech bestand, das mit Platinschwamm bedeckt
war." (Ostwald in Lebenslinien,
S. 289, Neudruck 2003) Um was es Wilhelm Ostwald vielleicht wirklich
ging, soll das folgende Zitat über das Verhältnis von objektiver
Realität und Bewusstsein aufzeigen:
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