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Ernest Rutherford
 
Ernest Rutherford
 
geboren am 30. August 1871 in Nelson/Neuseeland
gestorben am 19. Oktober 1937 in Cambridge/England

 
Lebenslauf

Ernest Rutherford kam am 30. August 1871 als Sohn eines schottischen Einwanderes und Stellmachers (Wagner) in einer Blockhütte zur Welt. Seine Mutter unterrichete als Lehrerin in England, bevor sie 1855 nach Neuseeland auswanderte. Bis zum Alter von 16 Jahren war Ernest Rutherford Schüler an der Collegiate School in Nelson. Ab 1889 konnte er durch ein Stipendium an der University of New Zealand in Wellington Mathematik und Physik studieren. Rutherford zeichnete sich durch außergewöhnliche Leistungen aus und erhielt 1894 ein erneutes Stipendium, das ihm eine Arbeitsstelle am Cavendish-Laboratorium an der Trinity College in Cambridge/England einbrachte.  
  
Dort führte er unter der Leitung von Joseph John Thomson (1856-1940) die Versuche fort, die er in Neuseeland begonnen hatte. 1898 erhielt er eine Berufung als Professor für Physik an die McGill University in Montreal/Kanada. Ab 1905 kam Otto Hahn für ein knappes Jahr nach Kanada, um in Rutherfords Labor zu arbeiten. 1907 kehrte Rutherford nach England zurück, um eine Professorenstelle für Physik an der Universität in Manchester anzutreten. Die höchste Auszeichnung war dann die Verleihung des Nobelpreises für Chemie im Jahre 1908. Ab 1919 leitete er das Cavendish-Laboratorium in Cambridge. Unter seiner Leitung arbeiteten dort einige Mitarbeiter, die später ebenfalls den Nobelpreis erhielten, so war im Jahr 1912 Niels Bohr etwa ein Jahr lang Assistent. Ernest Rutherford wurde 1914 zum Ritter geschlagen und 1931 zum Baron. Er starb 1937 überraschend an einem Nabelbruch. Seine Beisetzung fand in der Westminster Abbey statt, ganz in der Nähe des Grabes von Isaac Newton.

Theorien und Werk

Die erste Publikation Rutherfords erschien 1894 in Neuseeland unter dem Titel "Magnetization of Iron by High-Frequency Discharges". Sie handelte von der magnetisierenden Wirkung hochfrequenter, elektrischer Felder. Rutherford untersuchte, wie sich magnetisierbare Metalle in elektromagnetischen Hochfrequenzfeldern verhielten. Der zweite Beitrag "Magnetic Viscosity" wurde in den "Transactions of the New Zealand Institute" veröffentlicht. Darin ging es um die Entwicklung eines Apparates zur Messung von sehr kurzen Zeitintervallen. Der erste Radiowellenempfänger war damit erfunden. 
  
Im Cambridge verfeinerte Rutherford seinen Radiowellendetektor. Was ihn besonders beeindruckte war die Tatsache, dass die Wellen dicke Mauern durchdringen konnten. Die Empfangsleistung steigerte er auf über eine Meile.  
  
In J.J. Thomsons Labor wurde zu jener Zeit mit der von Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) entdeckten Röntgenstrahlung experimentiert. Ernest Rutherford entwickelte einen empfindlichen Elektrometer, der zur Messung der Röntgenstrahlen diente. Diese 1896 veröffentlichte Arbeit wurde erstmals international beachtet.  
  
Als Henri Becquerel (1852-1908) im Jahre 1896 die natürliche Radioaktivität entdeckte, ergab sich für Rutherford ein neues Forschungsfeld. Bei der Untersuchung der ionisierenden Wirkung der radioaktiven Strahlung von Pechblende auf Gase entdeckte er, dass die Strahlung zwei Komponenten enthielt, die unterschiedlich stark absorbiert wurden. Er nannte die Strahlung, die von Materialien stark absorbiert wird, alpha-Strahlung und die Strahlung, die sie leicht durchdringt, beta-Strahlung.  
  
In Kanada vermutete er durch bloße Abschätzung, dass die ausgestrahlte Energie, die ein Gramm Radium abstrahlt, niemals alleine durch chemische Reaktionswärme entstehen kann. Es ist "schwer vorstellbar, dass eine solche Energiemenge durch Umordnung der Atome oder Rekombinationen der Moleküle entsprechend der normalen chemischen Theorie entstehen könne". Bei der Untersuchung der radioaktiven "Ausdünstungen" des Elements Thorium kam ein verblüffendes Ergebnis heraus: Das entstandene Gas verhielt sich genauso reaktionsträge wie die 1894 entdeckten Edelgase Helium oder Argon. Zunächst konnte es Rutherford kaum glauben, dass aus Thorium ein neues Element entstehen konnte und das "Thorium X", wie er den unbekannten, zweiten Stoff zunächst nannte. "Rutherford, das ist eine Umwandlung. Thorium zerfällt und verwandelt sich in ein Argon-Gas!", sagte damals Frederick Soddy (1877-1956), der zu diesem Zeitpunkt noch Rutherfords Mitarbeiter war und der 1913 den Begriff der Isotope einführen sollte. Kurz danach fand Rutherford das Gesetz des radioaktiven Zerfalls, die Halbwertszeit. Er konnte in einer Formel angeben, um wie viel eine Thoriumprobe innerhalb einer bestimmten Zeitspanne an Gewicht abnahm. 1902 erschienen diese Überlegungen unter dem Titel "Cause and Nature of Radioactivity". Die Fachwelt war zunächst skeptisch und wollte nicht glauben, dass die Atome "einen Hang zum Selbstmord" hätten. 
  
Direkt im Anschluss entwickelte Rutherford einen Apparat, in dem die radioaktive Strahlung durch elektromagnetische Felder abgelenkt wurde. Bei diesen Experimenten gelang ihm 1903 der Nachweis, dass die alpha-Strahlung positiv geladen ist. 1903 berichtete Sir William Ramsay (1852-1916) in London in einem Vortrag von seinen mit Frederick Soddy durchgeführten Versuchen über die "Bildung von Helium aus Radium". Bis 1904 verfestigte sich bei Rutherford die Überzeugung, dass es sich bei dieser Strahlung um positiv geladene Heliumatome handeln musste. Daraus schloss er, dass beim Thoriumzerfall ein Thoriumatom in ein geladenes Heliumatom und in "Thorium X" zerfällt. Der Beweis für die Existenz der positiv geladenen Heliumkerne in der alpha-Strahlung gelang 1908 Hans Geiger und Thomas Royds, zwei Mitarbeitern von Rutherford.  
  
Nach Rutherfords Anstellung in Manchester bestand die größte Schwierigkeit darin, eine akzeptable Menge an Radium zu bekommen. Das Radiuminstitut in Wien ließ ihm nach längeren Verhandlungen 0,5 Gramm Radiumbromid zukommen. Ein Mitarbeiter im Institut im Manchester war damals auch der deutsche Physiker Hans Geiger (1882-1945), nach dem später der "Geigerzähler" benannt wurde. Zusammen mit Geiger untersuchte Rutherford die alpha-Strahlung genauer. Kurz zuvor hatte Otto Hahn ein Gerät weiterentwickelt, das beim Auftreffen von alpha-Strahlen, bzw. alpha-Teilchen auf einen Schirm aus Zinksulfid winzige Lichtblitze erzeugte. Rutherford und Geiger schickten die alpha-Teilchen durch mit Gas gefüllte Röhren und zählten die entstehenden Lichtblitze an dem von Otto Hahn verwendeten Szintillationszähler. Dabei schlossen sie sich in einen völlig verdunkelten Kellerraum ein. Als "Nebeneffekt" trat eine Streuung der Teilchen auf, die sich Rutherford und Geiger zunächst nicht erklären konnten. Der Student Ernest Marsden (1889-1970) hatte eine Ablenkung beobachtet, als die alpha-Strahlen durch Materie, beispielsweise durch eine dünne Goldfolie gesandt wurden (siehe: Powerpointpräsentation zu Rutherfords Streuversuch). 
   
1911 veröffentlichte Rutherford den Artikel "The Scattering of Alpha- and Beta-Particels by Matter and the Structure of the Atom". Das Ergebnis von zweijährigen Überlegungen und weiteren Messungen war eine neue Vorstellung über das Innenleben im Atom: Die gesamte Ladung eines Atoms ist in einem sehr kleinen Kernraum konzentriert, in der eine neue, merkwürdige Kraft wirksam ist. Rutherford sprach in diesem Zusammenhang von "space occupied but not filled" ("Raum besetzt, aber nicht gefüllt"). "Dieser Raum wurde als der Raum definiert, in dem die anziehend wirkende starke Wechselwirkung der Protonen das Coulombsche Abstoßungspotential überwiegt (...) Das Bemerkenswerte ist also nicht die Massen'konzentration', sondern die merkwürdige neue starke Kraft, die in diesem Kernraum wirksam ist." (Peter Buck: Zur Didaktik der Physik und Chemie, Alsbach 1984)  

Je näher die alpha-Teilchen an den Kernraum im Atom herankamen, umso mehr wurden sie abgelenkt. Durch umfangreiche Berechnungen aus der Zahl der gestreuten Teilchen konnte Rutherford die elektrische Ladung des Kernraumes bestimmen. Er fand heraus, dass sich die Ladungen verschiedener Atome um ganzzahlige Werte unterschieden. Diese von ihm später als Protonen bezeichneten Kernteilchen stimmten mit der Ordnungszahl der Elemente im Periodensystem überein. Das Atom stellte sich Rutherford wie ein Planetensystem vor, in dem negativ geladene Elektronen um einen positiv geladenen Kern, den Protonen, kreisen. Diese Vorstellung sollte als das Atommodell nach Rutherford in die Geschichte eingehen. 

Rutherfords Modell löste das bisherige Modell von Joseph John Thomson (1856-1940), dem Entdecker des freien Elektrons, ab: Nach dem Atommodell von Thomson war das Atom von einer positiv geladenen Wolke ausgefüllt, in der die Elektronen wie Rosinen verteilt waren.  
  
Thomsons Modell war schon sehr unzulänglich, aber Rutherfords Modell enthielt ebenfalls Widersprüche: Beim Kreisen der Elektronen um den Kern müssten sie Energie abstrahlen. Als Folge würden sie sich dem Kern nähern und in diesen hineinstürzen. 1912 hinterfragte Niels Bohr Rutherfords Modell und verstrickte ihn in Diskussionen. Bohr sah voraus, dass die klassische Physik in der Mikrowelt versagen und dass die Gesetze der Quantentheorie eine Rolle spielen würden. Den Ergebnissen der theoretischen Physik war Rutherford als experimentell arbeitender Physiker skeptisch eingestellt, allerdings verschloss er sich nicht vor den neuen Entwicklungen. 
  
Im Jahre 1919 erschien im "Philosophical Magazine" ein Artikel von Rutherford mit dem Titel "Zusammenstoß von Alphateilchen mit leichten Atomen. Ein anormaler Effekt mit Stickstoff". Darin berichtete Rutherford über den Beschuss von gasförmigem Stickstoff mit alpha-Teilchen und fand dabei Spuren von Wasserstoffatomen. Er vermutete, dass diese durch eine Atomumwandlung aus dem Stickstoff stammen. Rutherfords Mitarbeiter M.S. Blackett (1897-1974) untersuchte das Phänomen in der zuvor von C.T.R. Wilson (1869-1959) entwickelten Nebelkammer und konnte dann erstmals bestätigen, dass eine Atomumwandlung stattgefunden hatte. 

Im Jahre 1932 entdeckte Rutherfords Schüler James Chadwick (1891-1974) das Neutron, wofür dieser den Nobelpreis für Physik 1935 erhielt. Rutherford hatte die Existenz eines zweiten "neutralen" Atomkernbausteines in einem Vortrag 1920 schon vorausgesagt, kurz nach Übernahme der Leitung des Cavendish-Laboratoriums in Cambridge. Als Leiter des Laboratoriums sah Rutherford vor allem seine Aufgabe darin, die jungen Physiker zu fördern, die darin arbeiteten. John Cockroft (1897-1967) und Ernest Walton (1903-1995) gelang es als ersten, Atomkerne zu zertrümmern. Sie entwickelten eine Hochspannungskaskade, den Cockroft-Walton-Generator, der als Vorläufer der modernen Teilchenbeschleuniger gilt, und beschossen Lithiumatome mit schnellen Protonen und erhielten dabei zwei alpha-Teilchen, also zwei Heliumkerne. Für diese Arbeit wurden die beiden Physiker 1951 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. 
 
1997 entschied die IUPAC in Genf, dass das Element Nr. 104 zu Ehren von Ernest Rutherford den Namen Rutherfordium (Rf) erhält. Zuvor hatte es zwischen den Russen und den Amerikanern einen Streit um den Namen des Elements gegeben. Eine Zeitlang hieß das schon in den 1960iger Jahren künstlich erzeugte Element zu Ehren des russischen Kernforschers Igor Wassilijewitsch Kurtschatov (1903-1990) Kurtschatovium (Ku).  
  
 
Empfehlenswerte Literaturquellen

  • Buck, Peter: Zur Didaktik der Physik und Chemie, Bd. L5, Alsbach 1984
  • Bührke, Thomas: Newtons Apfel, München 1997
  • Hoffmann, Dieter (Hg.), u.a.: Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler, München 2004
  • Segrè, Emilio: Die großen Physiker und ihre Entdeckungen, München 2004

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