Otto Hahn wurde als Sohn eines Glasermeisters
am 8. März 1879 in Frankfurt geboren. Er hatte zwei Brüder. In
der Schule langweilte sich Otto, vor allem der damalige Physik- und Chemieunterricht
empfand er als sehr trocken. Doch zuhause in der Waschküche führte
Otto "chemische Spielereien" durch, wie er es später nannte, beispielsweise
die Herstellung von Wasserstoff aber auch gefährliche Experimente
mit Natrium oder mit Kaliumchlorat
und Phosphor gehörten dazu. Nach dem Besuch der Oberrealschule
1885 in Frankfurt und dem Abitur 1897 ging Otto Hahn nach Marburg, um zu
studieren. Er belegte als Hauptfach Chemie bei Professor Theodor Zincke,
einem Schüler von Friedrich Wöhler,
sowie Mineralogie und Kristallographie, Physik und Mathematik waren dagegen
nur Nebenfächer. 1901 folgte die Promotion an der Philosophischen
Fakultät der Universität Frankfurt.
Lise Meitner wurde 1878 als Tochter eines Rechtsanwalt in Wien in einer jüdischen Familie geboren. Da damals Mädchen noch nicht zum Abitur zugelassen waren, ging sie zunächst auf eine Bürgerschule und machte eine Ausbildung als Französischlehrerin. Mit Hilfe eines Selbststudiums holte sie das Abitur im Jahre 1901 am Akademischen Gymnasium in Wien nach. Im gleichen Jahr schrieb sie sich als Studentin der Universität Wien in den Fächern Mathematik und Physik ein, wo sie 1906 im Fach Physik promovierte. Danach arbeitete sie ein Jahr lang am Institut für Theoretische Physik in Wien.
Nach dem obligatorischen Militärdienst
erhielt Dr. Phil. Otto Hahn eine Anstellung am University College in London
und war daraufhin Mitarbeiter von Sir William Ramsay (1852-1916), dem großen
Entdecker der Edelgase und Nobelpreisträger. Beim Vorstellungsgespräch
sagte Ramsay: "Sie werden über Radioaktivität arbeiten". Hahn
hatte in Deutschland während seinem Studium nur wenig darüber
gelernt und war zunächst vor den Kopf gestoßen. Ramsays Labor
war gut ausgestattet und so lernte Hahn das Arbeitsverfahren kennen, mit
dem Marie und Pierre Curie das Radium einige
Jahr zuvor isoliert hatten. Hahn machte sich an die Arbeit, die von Ramsay
geforderten 9 Milligramm Radium zu gewinnen. Dabei entdeckte er ein radioaktives
"Element", das "Radiothorium", das sich später aber als Thoriumisotop
herausstellen sollte. Im "Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik"
beschrieb er 1905 die Verwendung eines Zinksulfid-Schirmes, der beim Auftreffen
von radioaktiven Teilchen einen Lichtblitz erzeugte. Ab 1905 war Otto Hahn für ein knappes
Jahr an der McGill Universität in Montreal bei Sir Ernest
Rutherford. Auch dort entdeckte er neue "Elemente", die sich später
alle als Isotope der bisher schon bekannten Elemente herausstellen sollten.
Sie erhielten Namen wie "Radioactinium" (später das Thoriumisotop
227), "Thorium C" oder "Radium D". 1906 ging Otto Hahn zu Emil Fischer (1852-1919)
nach Berlin. Fischer war 1902 einer der ersten Nobelpreisträger für
Chemie und hatte in Berlin eines der am besten ausgestattenen Labors der
Welt. In Fischers Labor isolierte Hahn weitere "Elemente" (heute: Isotope
bekannter Elemente) wie beispielsweise das Mesothorium I (heute: Radium-228)
und Mesothorium II (heut: Actinium-228). Das Mesothorium wurde in der Medizin
zur Bestrahlungstherapie von Krebsgeschwüren eingesetzt. Bei Messungen über die Halbwertszeit
vom natürlich vorkommenden Radium
(heute bekannt als: Ra-226) fiel ihm ein Widerspruch auf. Bei einer Halbwertszeit
von weniger als 2000 Jahren (heutiger Forschungsstand: 1599 Jahre) dürfte
die Substanz in der Natur gar nicht mehr vorkommen: "Bei dem ungeheuren Alter unserer festen
Erdkruste wäre daher das Radium, auch wenn die ganze Erde aus solchem
bestanden hätte, heute längst verschwunden, wenn wir nicht eine
andere Voraussetzung machen würden, nämlich die, dass das Radium
selbst beständig von neuem gebildet wird." (Hahn 1907, in Hoffmann:
Otto Hahn, S. 54) Doch diesmal kam ihm der amerikanische Radiochemiker Bertram Borden Boltwood (1870-1927) zuvor. Nur wenige Tage vor Hahns Veröffentlichung über die "Muttersubstanz des Radiums" erschien 1907 im "American Journal of Science" Boltwoods Bericht über die Entdeckung des "Ioniums" (heute: Thorium-230, vgl. Uran-Radium-Zerfallsreihe).
Im Jahre 1907 bewarb sich Otto Hahn an
der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin um eine Habilitation.
Die damaligen Chemiker an der Universität intessierten sich nur wenig
für das Radium. Aus diesem Grunde verkehrte der Chemiker Hahn lieber
in den Kreisen des Physikalischen Instituts. Dort kam er erstmals mit Lise
Meitner in Kontakt. Sie kam 1907 als promovierte Physikerin nach Berlin
und besuchte die Vorlesungen von Max Planck (1858-1947). Es entstand eine
kollegiale Zusammenarbeit im Institut von Otto Hahn, die lange andauern
sollte. In den ersten Jahren entdeckten die beiden
Wissenschaftler eine ganze Reihe neuer Isotope der Actinium-, Thorium-
und Radiumzerfallsreihe (vgl. >Zerfallsreihen).
Bis dahin konnte man die neu entdeckten "Elemente" nicht in das Periodensystem
einordnen. Frederick Soddy lieferte 1913 mit seiner Theorie über die
Isotope eine Lösung. Jedes Element
hat eine eindeutig festgelegte Kernladungszahl (Ordnungszahl), von jedem
Element gibt es aber unterschiedliche Atomarten, die sich durch unterschiedliche
Atommassen auszeichnen. Nun war klar, dass Otto Hahn und Lise Meitner keine
neuen Elemente entdeckt hatten. 1910 wurde Otto Hahn zum ordentlichen
Professor ernannt. Bei einem seiner Vorträge reiste er im Mai 1911
zu einer Tagung nach Stettin. Auf einer abschließenden Dampferfahrt
auf der Ostsee kam er mit einer hübschen Dame mit großem Sommerhut
ins Gespräch. Edith Junghans studierte an der königlichen Kunstschule
in Berlin und war die Tochter des Stettiner Präsidenten des Stadtparlaments.
Otto Hahn verliebte sich in die 25jährige Kunststudentin und heiratete
sie zwei Jahr später. Mit Lise Meitner hatte er nach eigenen Angaben
dagegen immer nur kollegialen Kontakt. Der Bau des Kaiser Wilhelm Instituts in
Berlin im Jahre 1911-1912 eröffnete ein neues Betätigungsfeld.
1912 übernahm Otto Hahn die Leitung für eine Abteilung, die sich
mit der Erforschung der Radioaktivität befasste. Zu dieser Zeit arbeitete
auch Fritz Haber in führender Position am
Institut. Im gleichen Jahr fuhr Otto Hahn anlässlich der Sitzung der
internationalen Radiumkommission nach Paris und lernte bei dieser Gelegenheit
Marie Curie persönlich kennen. Der ebenfalls
anwesende Ernest Rutherford lud die Kommissionsmitglieder
zu einem Essen ein und berichtete über seine Atomvorstellungen, dass
sich im Innern des Atoms ein kleiner, konzentrierter Kernraum befindet,
in dem eine starke Kraft wirkt, so dass die alpha-Strahlung abgelenkt
wird. Ab 1913 erhielt auch Lise Meitner fest am Kaiser Wilhelm Institut
eine bezahlte Anstellung. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges
setzten sich zahlreiche deutsche Forscher für die "Vaterlandsverteidigung"
ein und unterstützten in einem "Aufruf an die Kulturwelt" die Kriegsziele
des Deutschen Kaisers. Neben Otto Hahn gehörten auch andere Wissenschaftler
wie Emil Fischer, Fritz Haber, Wilhelm
Ostwald, Max Planck oder Wilhelm Roentgen zu den Unterzeichnern. Ab
1915 wurde Otto Hahn einer "Spezialtruppe" zugewiesen: In Fritz
Habers Gruppe entwarf man die Technologie des Gaskrieges.
Das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, in dem Lise Meitner zunächst
noch arbeitete, wurde für kriegswichtige Arbeiten offiziell in Beschlag
genommen. Hahn hatte gegenüber Haber zwar Einwände, dieser hielt
den Einsatz von Giftgas wie Chlor
an der Front jedoch für legitim. Während eines Fronteinsatzes
erkannte Hahn die "ganze Unsinnigkeit des Krieges" (vgl. >Gaskrieg).
Im Dezember 1916 erfolgte die Versetzung in die chemische Fabrik der Bayer-Leverkusen,
wo Gasgranaten und Gasmasken hergestellt wurden. Beim Test einer Gasmaske
kam Otto Hahn mit dem gefährlichen Kampfgas Phosgen
in Berührung und musste sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen.
Lise Meitner arbeitete zu dieser Zeit als Röntgenologin für die
österreichische Armee an der Ostfront. Nach dem Krieg setzten Otto Hahn und Lise
Meitner ihre Arbeiten wieder fort. Beim Aufschluss eines besonders schwer
aufschließbaren Rückstandes der Pechblende erhielten sie im
Jahre 1918 ein neues, "echtes" Element. Ein kurzlebiges Isotop dieses Elements
(Pa-234) war schon 1913 von mehreren Forschern unabhängig voneinander
entdeckt worden. Otto Hahn und Lise Meitner verliehen der "Muttersubstanz
des Actiniums" (dem langlebigen Isotop
Pa-231) den Namen Protactinium. Nachdem es Ernest
Rutherford im Jahre 1919 gelungen war, erstmals Stickstoffatome durch
den Beschuss von alpha-Teilchen in Wasserstoff- und Sauerstoffatome
umzuwandeln, war die Nutzung einer Energiegewinnung aus Atomen ein Stück
näher gekommen. Einige Wissenschaftler träumten zu diesem Zeitpunkt
schon davon, andere befürchteten, dass die dabei frei gesetzte Energie
die ganze Erde zerstören könnte. Im Jahre 1922 lud Niels
Bohr die beiden deutschen Forscher nach Kopenhagen ein. Diese revanchierten
sich mit einer Einladung nach Berlin. Im gleichen Jahr habilitierte Lise
Meitner, 1926 wurde sie außerordentliche Professorin an der Universität
Berlin. 1932 fand die sogenannte "Bunsentagung" in Münster statt,
an der fast alle namhaften Atomphysiker der damaligen Zeit teilnahmen.
Rutherford hielt den Einführungsvortrag
und James Chadwick (1891-1974) berichtete von der Entdeckung des Neutrons.
Um dieses neu entdeckte Teilchen wurde an der Tagung dann ausführlich
diskutiert. Einige Teilnehmer glaubten, dass mit dem neu entdeckten Teilchen
neue Entdeckungen gelingen könnten. Kurz nach der Machtübernahme der
Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 reiste Otto Hahn auf eine Vortragsreise
in die USA. Dort erfuhr er dann von den besorgniserregenden Ereignissen
in Deutschland. Dem Reichstagsbrand am 27. Februar folgte die Verhaftung
zahlreicher Oppositioneller. In einem Brief von Lise Meitner an Otto Hahn
in die USA drückte sie ihre Besorgnisse aus. Am 7. April erließen
die Nazis das Gesetz zur "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das
nur dazu diente, den Staatsapparat von Angestellten mit jüdischer
Abstammung zu säubern. Nach der Rückkehr nach Deutschland setzte
sich Otto Hahn für Lise Meitner ein, was aber nichts nützte:
Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wurde sie am 6. September 1933
aus der Universität entlassen. Am 29. Januar 1934 starb Fritz
Haber auf einer Reise in Basel. Er war zuvor aus dem Institut ebenfalls
ausgeschieden und als Jude auf der Suche nach einer neuen Heimat in Europa
herumgereist. Aus Protest und Solidarität gegenüber allen schickanierten
Mitarbeitern trat Otto Hahn offiziell aus der Berliner Universität
am 31. Januar 1934 aus. Die Gedenkveranstaltung zum ersten Todestag Fritz
Habers im Januar 1935 wurde von den Nazis verboten. Trotzdem fand sie statt
und Otto Hahn verlaß eine Rede von Friedrich Bonhoeffer. 1934 beobachteten Frédéric
Joliot und Irène Joliot-Curie, die Tochter von Marie Curie, ein
Phänomen, das zuvor niemand beobachtet hatte: Beim Beschuss einer
Aluminiumfolie mit alpha-Strahlung sendete die Folie für kurze
Zeit ebenfalls eine Strahlung aus. Zum ersten Mal konnte der radioaktive
Zerfall künstlich ausgelöst werden. Angeregt durch diese Entdeckung
machte sich in Rom Enrico Fermi (1901-1954) daran, alle bisher bekannten
Elemente mit Neutronen zu beschießen. Lise Meitner und Otto Hahn
fuhren trotz der Repressionen mit ihrer Arbeit fort und führten die
gleichen Experimente wie Fermi durch. Fermi vermutete, dass durch den Neutronenbeschuss
weitere Elemente, jenseits des Urans,
also die Transurane mit einer höheren Ordnungszahl als 92, entstehen
könnten. Am 1. Januar 1935 erhielt das Team Hahn-Meitner einen neuen
Assistenten: Fritz Straßmann (1902-1980). Das neue Team glaubte bald,
neue Elemente jenseits des Urans hergestellt zu haben, doch leider unterlag
es wieder einer Täuschung, denn es hatte bis dahin noch kein echten
Transurane hergestellt, wie sich später zeigen sollte. Im Jahre 1938 verschlechterte sich die
Situation für das Team erneut, nachdem Hitler Österreich annektiert
hatte. Lise Meitner wurde nun "Reichsdeutsche", dadurch war ihr Leben aufgrund
ihrer jüdischen Abstammung plötzlich gefährdet. Am 13. Juli
1938 floh sie über Holland nach Schweden. Die Flucht wurde von Otto
Hahn und ausländischen Freunden vorbereitet. Im gleichen Jahr floh
auch Enrico Fermi aus Italien. Er nutzte die Verleihung des Nobelpreises
für Physik in Schweden, um sich mit seiner Frau aus dem faschistischen
Italien abzusetzen. Hahn und Straßmann arbeiteten unverdrossen
weiter, doch alle ihre Ergebnisse teilten sie unverzüglich Lise Meitner
in Schweden brieflich mit. Im November 1938 berichtete Hahns Team Niels
Bohr von einer Entdeckung, dass sich durch den Beschuss von Uran ein
"Radiumisotop" gebildet habe. Bohr war zunächst skeptisch, denn das
Phänomen, dass das Uran vier Kernladungen abgeben würde, konnte
nicht theoretisch erklärt werden. Als Trägermaterial hatte das
Team Barium verwendet und dieses
Element kam für das Produkt daher vorläufig nicht in Frage. So
machte sich das Team fieberhaft daran, die Entstehung des "Radiumisotops"
experimentell zu beweisen. Das folgende Foto zeigt die Experimentalanordnung,
die Hahn nach Anweisung von Lise Meitner gebaut hatte und mit der Hahns
Team den Beweis erbringen wollte: In einem Paraffinblock (rechts
hinten im Glaskasten) befindet sich eine Mischung aus Radium
und Beryllium als Neutronenquelle und dicht daneben im Block die Uranprobe.
Das Paraffin dient zur Erzeugung von langsamen Neutronen. Diese werden
beim Durchgang durch das Paraffin abgebremst, dadurch erhöht sich
die Trefferwahrscheinlichkeit auf den Atomkern in den Uranatomen erheblich.
Die Saugflasche vor dem Block dient zum Abtrennen der radioaktiven Fällungsprodukte.
In der Mitte des Tisches befindet sich eine Zähleinrichtung nach Geiger-Müller,
die auch beta-Strahlung messen kann. Unter dem Tisch sind Batterien
zur Erzeugung der hohen Spannung für das Zählrohr angebracht.
Am Abend des 17. Dezember 1938 laß
Hahn einen ungewöhnlichen Befund des Experiments, den er von Straßmann
erhalten hatte. In einem spontan verfassten Brief an Lise Meitner schrieb
er: "...Immer mehr kommen wir zu dem schrecklichen
Schluss: unsere Ra-Isotope verhalten sich nicht wie Ra, sondern wie Ba.(...)
Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen.
Wir wissen selbst, dass das Uran nicht zerplatzen kann..." Auch chemische Analysen wiesen darauf
hin, dass Hahn und Straßmann nach dem Experiment nicht Radiumisotope
nachgewiesen hatten, sondern Bariumisotope. Am 6. Januar 1939 veröffentlichten
Hahn und Straßmann ihre Laborbefunde in der Zeitschrift "Die Naturwissenschaften".
Die Umwandlung von Uran in Barium beschrieben sie zwar, formulierten aber
mit höchster Vorsicht: "...Als der Physik in gewisser Weise nahestehende
'Kernchemiker' können wir uns zu diesem allen bisherigen Erfahrungen
der Kernphysik widersprechenden Sprung noch nicht entschließen..." Die theoretische
Erklärung für
das Phänomen erarbeitete Lise Meitner in Stockholm zusammen mit
ihrem
Neffen Otto R. Frisch (1904-1979). Mühsam wurde die
Veröffentlichung
auf englisch per Telefon von Stockholm nach Kopenhagen übertragen.
Lise Meitner hatte zwei der drei entscheidenden Bausteine für die
Entdeckung der Kernspaltung geliefert, nämlich Versuchsaufbau und
Theorie. Otto Hahn führte die Experimente aus und konnte sich das
entdeckte Phänomen zunächst nicht erklären. Die bei der Kernspaltung des Urans von
manchen Wissenschaftlern befürchtete Kettenreaktion blieb aus. Es
stellte sich nun die Frage, ob bei der Kernspaltung weitere Neutronen frei
werden und ob diese imstande sind, eine solche Kettenreaktion auszulösen.
Den Wissenschaftlern war schon 1939 klar, dass der Effekt möglicherweise
ausgenützt werden könnte. Das Team um Frédéric
Joliot-Curie bewies am 8. März in Paris, dass bei der Kernspaltung
tatsächlich neue und freie Neutronen entstehen. Niels
Bohr vertrat 1939 in einer Veröffentlichung die Hypothese, dass
nur das Uranisotop-235 spaltbar sei. Aufgrund der geringen Mengen dieses
Isotops im natürlichen Uran erschien eine technisch machbare Anreicherung
zunächst aber als unmöglich. Ida Noddack hatte schon 1934 die Hypothese
vertreten, dass die Kernspaltung des Urans
theoretisch möglich sei. In einer Publikation am 10. März 1939
zog sie - pünktlich zu Hahns 60. Geburtstag - die angebliche Entdeckung
der Transurane durch Hahn und Straßmann erheblich in Zweifel. Da
sich Hahn geweigert hatte, die Hypothese von Ida Noddack 1934 zu veröffentlichen,
kam diese Kritik vielleicht aus Rache, denn es war tatsächlich Ida
Noddack, die das theoretische Fundament für die Kernspaltung schon
zuvor gelegt hatte. Sie fühlte sich nicht ganz zu Unrecht um ihre
Verdienste geprellt. Hahn und Straßmann, aber auch andere Forscherteams,
führten die früheren Experimente erneut durch, diesmal mit dem
Wissen um die Kernspaltung. Es zeigte sich dabei, dass sämtliche "Transurane"
Bruchstücke von Umwandlungsprodukten der Kernspaltung waren. Übrig
blieb nur das "Eka-Rhenium" (heute: Neptunium).
Der Nobelpreis für die Entdeckung dieses Elements staubten aber zwei
amerikanische Forscher ab: Edwin McMillan (1907-1991) und Philip H. Abelson
(1913-2004). Beide arbeiteten später dann auch an der Entwicklung
der Atombombe.
Zweiter Weltkrieg
Das nationalsozialistische Regime interessierte sich stark für die neuen Entdeckungen und entwickelte ein eigenes, unabhängiges Uranforschungsprojekt bei der Wehrmacht. Gleichzeitig mussten sich Wissenschaftler wie Werner Heisenberg (1901-1976) und Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) unter dem Druck der nationalsozialistischen Regierung verpflichten, die Nutzbarmachung der Atomkraft zu erarbeiten. Heisenberg schlug schweres Wasser (Deuterium) zur Erzeugung von langsamen Neutronen (zum Beschuss von Uran-235) vor. Hahn und Straßmann am Kaiser-Wilhelm-Institut weigerten sich standhaft, in die Partei einzutreten, Straßmann wurde daher auch die Habilitation verweigert. Sie arbeiteten während dieser Zeit unverdrossen an ihren Untersuchungen der Uranspaltprodukte weiter und hatten mit Heisenbergs Projekt nur wenig zu tun. Um 1944 protestierte Hahn offen gegen Entscheide der Nazis, in einigen Fällen gelang es ihm sogar, durch schriftlich formulierte Einsprüche Mitarbeiter oder deren Frauen vor dem Gang in die Deportation und den sicheren Tod zu bewahren. In den USA gelang dem aus Italien emigrierten Fermi im Jahre 1942 erstmals die Inbetriebnahme eines "Kernreaktors". Unter der Tribüne des Sportstadiums in Chicago schichtete er 6 Tonnen Uran mit 36,6 Tonnen Uranoxid und 315 Tonnen reinem Graphit auf einem Haufen auf und brachte eine selbstlaufende Kettenreaktion in Gang. Der Graphit diente dabei als Moderator für die Neutronen. Dieser Versuchsaufbau in einer öffentlichen Einrichtung erscheint uns heute aufgrund der auftretenden gefährlichen Strahlung ungeheuerlich. Gleichzeitig machten sich die Amerikaner daran, das "Transuran" Plutonium in größerer Menge herzustellen. Der Bau der Atombombe fand dann schließlich in einem Labor in Los Alamos unter der Leitung von Robert Oppenheimer (1904-1967) statt. 1944 wurde Hahns Institut aufgrund der
häufigen Luftangriffe auf Berlin nach Tailfingen auf die Schwäbische
Alb verlegt. Das Anlaufenlassen des ersten deutschen Atomreaktors in Haigerloch
unter der Führung von Walther Gerlach (1889-1979) und unter Aufsicht
von Werner Heisenberg misslang, vermutlich weil die Gruppe zu wenig Schweres
Wasser zur Verfügung hatte. Nach dem Krieg Nach Ende des Krieges wurden die deutschen
Atomforscher von den Alliierten verhaftet. In britischer Gefangenschaft
erfuhren die 10 internierten Forscher - darunter auch Hahn, Gerlach, Heisenberg
und von Weizsäcker - vom Atombombenabwurf
auf Hiroshima. Vor allem Otto Hahn traf die Nachricht sehr, denn ihm
war wohl bewusst, dass er mit seinen Experimenten zur Kernspaltung die
Voraussetzungen zur Herstellung der furchtbaren Waffe geschaffen hatte. Im November 1945 erhielt Otto Hahn rückwirkend
den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung der Kernspaltung.
Lise Meitner in Schweden ging leer aus. Auch in den darauf folgenden Jahren
erhielt sie den Preis nicht, was heute aufgrund ihrer Mitwirkung an der
entscheidenden Entdeckung kaum verständlich erscheint. Im Januar 1946
konnten die internierten Wissenschaftler nach Deutschland zurückkehren
und erst danach fand die Überreichung des Nobelpreises an Otto Hahn
in Schweden statt. Nach dem Krieg wurden Vorwürfe laut, die deutschen
Forscher hätten entgegen ihrer Beteuerungen doch an der Entwicklung
einer Atombombe für die Nazis gearbeitet. In einer öffentlichen
Gegendarstellung widersprach die Gruppe um Hahn und Heisenberg diesem Vorwurf. Mit der Zündung der ersten Wasserstoffbombe
im Jahre 1952 wurden immer mehr die verheerenden Auswirkungen der neuen
Superwaffen deutlich. Wie Linus Pauling engagierte
sich Otto Hahn gegen den militärischen Einsatz von Kernwaffen. 1958
unterzeichnete er mit zahlreichen anderen die von Pauling initiierte Petition
gegen Kernwaffenversuche. Von 1948 bis 1960 war Hahn Gründungspräsident
der nach dem Krieg neu ins Leben gerufenen Max-Planck-Gesellschaft. Für
seine politischen Tätigkeiten gegen Kernwaffen wurde er sogar einmal
für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Bis zu seinem Tod erhielt
Otto Hahn zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Und Lise Meitner? Sie erhielt nach dem
Krieg zahlreiche Forschungsangebote aus den USA, die sie aber alle ausschlug.
Sie wollte keinesfalls an einem Atombombenprojekt mitarbeiten. Ab 1947
leitete sie die Abteilung für Kernphysik an der Technischen Hochschule
in Stockholm. Verheiratet war sie nie, ihr Leben ging ganz in der Physik
auf. 1960 zog sie nach Cambridge zu ihrem Neffen Otto Robert Frisch, wo
sie 1968 - im gleichen Jahr wie Otto Hahn - starb. Auch sie wurde bis zu
ihrem Tod mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. 1992 benannte man das
Element 109 zu ihren Ehren Meitnerium
(Mt), sozusagen als späte Entschädigung für den nicht vergebenen
Nobelpreis. Empfehlenswerte
Literaturquellen
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