Die Kerze
Die „Kerze“ ist ein klassisches
didaktisches Lehrstück [1], [2]
und ermöglicht sokratisch-genetisches
Lernen im Sinne von Martin Wagenschein.
Das Lehrstück kann auf der Primarstufe, aber auch auf
der Sekundarstufe durchgeführt werden. Dabei sind die 10
Kriterien zur Initiation eines Experiments besonders genau zu
beachten.
Die Zahl der teilnehmenden Personen darf nicht zu hoch sein. Es werden
nicht mehr als 15 Teilnehmende empfohlen. Als Sitzordnung eignen sich
Tische, die zu einem Kreis oder
einem Rechteck angeordnet sind, so dass jeder jedem gegenüber
sitzt.
Der Raum ist leicht abgedunkelt. Die Fotos stellen keinen Ersatz
für
die reale Beobachtung dar, sie zeigen jedoch Details und können die
Beobachtungsgabe schärfen. „Die Kerze“ wird auch
gerne im Zusammenhang mit dem Thema Feuer oder Luft behandelt. Es eignen
sich dazu Feuergedichte oder Luftgedichte zum Vorlesen.
„Wir wollen nun zusammen eine Experimentierrunde erleben und dabei auch miteinander diskutieren. Dabei äußert ihr Vermutungen und Erklärungsversuche. Es gelten folgende Gesprächsregeln:
Aufgabe 1 Zeichne eine Kerzenflamme! Bevor die Schülerinnen und Schüler eine Kerzenflamme zeichnen, werden sie auf mögliche Merkmale, auf die sie besonders achten sollen, hingewiesen. Dabei halten sie die Kerze auch waagerecht und beobachten, ob die Flamme ihre Stellung verändert. Nach dem Zeichnen der Flamme werden Lösungsvorschläge an die Tafel gezeichnet und diskutiert. Aufgabe 2
Was brennt an der Kerze? Der Docht oder das Wachs?
Durch das Experimentieren mit Dochten (ohne Kerze) erkennen die Schülerinnen und Schüler, dass das Dochtmaterial ohne Wachs relativ schnell verbrennt und nicht mehr verwertbar ist. Es entsteht dabei keine richtige Flamme. Ein Wachsplätzchen
lässt sich nicht mit einem Streichholz anzünden. Auch wenn man
das Plätzchen mit der Kerzenflamme in einem Löffel schmilzt,
brennt es nicht. Vielleicht kommt dabei jemand auf die Idee,
dass das flüssige Wachs im Löffel so lange erhitzt werden muss,
bis Wachsdämpfe entstehen, die mit einem Streichholz angezündet
werden können. Das Wachs im Löffel brennt dann auch ohne das
Heizen mit einer Kerzenflamme weiter, da die Flamme den Löffel so
stark aufheizt, dass die hohe Temperatur zum Verdampfen des Wachses erhalten
bleibt. Hinweis: Diese Flamme darf keinesfalls mit Wasser gelöscht
werden, da dabei eine Stichflamme entsteht! Das Wachs lässt man ausbrennen.
Ein weiteres
Experiment
zum Beweis, dass die Wachsdämpfe bei der Kerze brennen, ist als
„Kerzentrick“ schon jedem Kind bekannt: Eine Kerze wird ausgeblasen und
beobachtet. Dabei
steigt eine dünne, weiße Säule von heißem
Wachsdampf
aus dem Docht nach oben. Entflammt man die Wachssäule weiter oben
mit einem Streichholz „springt“ die Flamme nach unten und
entzündet
wieder die Kerze. In diesem Zusammenhang
kann auch der Begriff der Aggregatzustände erarbeitet werden. Alle
Übergänge können experimentell nachvollzogen werden:
Aufgabe 3
Wo befindet sich der Wachsdampf in der Kerze?
Mit Hilfe des Objektträgers,
des Glasröhrchen und des Drahtnetzes versuchen die Lernenden herauszufinden,
in welcher Zone der Kerzenflamme sich der Wachsdampf befindet. Hält
man die Geräte nahe des Dochtes in die Flamme, erhält man einen
weißen, weiter oben schwarzen Rauch:
Alle drei Hilfsmittel
beweisen, dass sich der Wachsdampf in der inneren, dunkleren Zone der Flamme
befindet und der Ruß in der helleren Zone. Ein weiterer Hinweis,
dass es sich bei dem weißen Rauch um Wachsdampf handelt, konnte vorher
schon mit Hilfe des „Kerzentricks“ bewiesen werden.
Hält man das Drahtnetz in die Spitze der Flamme, entsteht ein schwarzer Rauch. Hält man das Drahtnetz direkt über den Docht, entsteht ein weißer Rauch. Aufgabe 4
Warum leuchtet die Kerze? Wer ist dafür verantwortlich?
Der Objektträger verrußte beim Hineinhalten in den oberen, leuchtenden Teil der Flamme. Dies führt zur Vermutung, dass der Ruß für das Leuchten verantwortlich ist. Die Schülerinnen und Schüler überlegen sich nun ein Experiment, das diese Vermutung beweist. Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: Hält man ein verkohltes Streichholz in eine Kerzenflamme, beginnt es zu leuchten. Zerreibt man die Asche von zwei Streichhölzern zwischen zwei Objektträgern und streut diese in die nicht leuchtende Flamme eines Brenners, ist ebenfalls ein kurzes Leuchten sichtbar. Aufgabe 5
Hat die Kerzenflamme überall die selbe Temperatur?
Auch hier existieren
mehrere Möglichkeiten, die man entwickeln kann:
Aufgabe 6
Welche Aufgabe besitzt der Docht? Beim Entzünden einer Kerze lässt sich am noch kalten Docht (wenn er lange genug ist) mit einer Lupe beobachten, wie sich das Wachs im Docht verflüssigt. Der Docht transportiert also flüssiges Wachs von der Kerze in die Flamme. Aufgabe 7 Die Lernenden formulieren, was in der Kerzenflamme genau passiert Eine „Musterlösung“ existiert nicht, viel entscheidender ist es, dass die Schülerinnen und Schüler den Weg der Erkenntnisfindung in eigenen Worten formulieren und in ihrem Heft ausführlich darstellen. Der erzieherische Moment liegt im Prozess des Experimentierens, des Diskutierens und des Reflektierens selbst. Zusammenfassung Die Kerzenflamme ist ein sich selbst erhaltendes System, das nicht ohne weiteres durchschaubar ist: In der inneren, dunkleren und kühleren Zone der Flamme wird flüssiges Wachs zu Wachsdampf verdampft. Am Übergang zur helleren Zone verbrennt der Wachsdampf zu Ruß. Der Ruß beginnt in der leuchtenden Zone zu leuchten, da er durch die Hitze dazu angeregt wird. Durch das Verbrennen des Wachsdampfes wird neues flüssiges Wachs aus dem Docht nachgezogen. Die Hitze der Flamme sorgt für das Verflüssigen des Wachses im Docht. Martin Wagenschein hat es so formuliert [4]: „Die Kerze selber: „Wärme steigt auf“ (aber warum?). Sie macht die Strömung, aber sie braucht sie auch, damit immer neue Luft an sie heran kann, denn die Luft „verbraucht sich“ wie in jedem Feuer. – Was für eine zweckmäßig kleine Maschine eine solche Kerze ist! Einmal entzündet, erhält sich der Betrieb dieser kleinen Gasfabrik und regelt sich von selbst. Die Gas-Zunge oben, indem sie verbrennt, gibt Wärme; dieselbe Wärme schmilzt das Wachs. Im Docht steigt das flüssige Wachs „von selbst“ auf (wirklich, von selbst?), und oben erzeugt die Verbrennungs-Wärme den Luftstrom, den die Flamme wieder zum Leben braucht. Zwei Aufgaben hat sie und löst sie zugleich: den Brennstoff schmelzen, verdampfen, bereit machen, und die Brennluft heranholen. Dazu die dritte, die uns die wichtigste ist: Sie leuchtet ihr warmes Licht. Sie lockt uns hinein in die Optik.“ Ausblick Eine Frage wurde bis jetzt nicht beantwortet: Was passiert mit dem Ruß, wenn er zu leuchten beginnt? In weiteren Experimenten würde sich beweisen lassen, dass oberhalb der Flamme Kohlenstoffdioxid als Verbrennungsprodukt des Rußes entsteht. Saugt man die Gase durch eine Gaswaschflasche mit Kalkwasser, weist die Trübung dieses Gas nach. Die Demonstrationen zur Oxidation und zur Massenerhaltung nehmen nochmals Bezug auf die Kerzenexperimente. Manche Ansätze gehen noch weiter und erarbeiten anhand der Kerze den natürlichen Kohlenstoff-Kreislauf [3]. Der Ansatz hier beschränkt sich jedoch auf einfaches Verstehen mit möglichst geringem Geräteaufwand. Verfilmung der Experimente Literatur [1] Ueli Aeschlimann: Warum leuchtet die Kerzenflamme? Schriften der Schweizerischen Wagenschein-Gesellschaft, 2001 [2] M. Faraday: Naturgeschichte einer Kerze, Verlag B. Franzbecker 1979 [3] Eberhard Theophel: Kerze nach Faraday, In: Berg/Schulze: Lehrkunst – Lehrbuch der Didaktik, Luchterhand 1995, S. 283 ff [4] Martin Wagenschein: Naturphänomene sehen und verstehen, Klett-Verlag 1980, S. 116 |