Düngemittel,
zum Wohle der Menschheit?
Ein Rollenspiel für die Sekundarstufe Thomas Seilnacht, veröffentlicht in chimica didactica 1995, Heft 3 Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Prof. Dr. Peter Buck Zusammenfassung Es wird ein Rollenspiel über Düngemittel beschrieben, das im Chemieunterricht einer 9. Klasse durchgeführt und verfilmt wurde. Es bildete den Abschluss der Unterrichtseinheit „Nitrate und Düngemittel“. Das Thema eignet sich für eine Fächerverbindung mit Kunst und Biologie. Abstract
A didactic play on the role
of fertilizers is described bringing a sequence on Nitrates and fertilizers
to an end. It was performed with a group of 15 years old pupils and recorded
on video. The subject is suitable for the integration of chemistry, arts
and biology.
Begründung der Methode Im Rollenspiel identifizieren sich Schüler
mit einer anderen Person oder einer Interessengruppe. Sie müssen sich
während der Vorbereitung intensiv mit dem Thema auseinandersetzen.
Durch die Einbeziehung der ganzen Person in den Arbeitsprozess (Rollen
einlesen und spielen) gewinnt der Schüler eine emotionale Beziehung
zur Sache. Das Rollenspiel unterstützt den Prozess der „Einwurzelung“, in Anlehnung an Martin Wagenschein: Der Lernende
gewinnt mit seiner ganzen Person eine enge Beziehung zu der Sache. Das
Rollenspiel ist zugleich Selbstdarstellung und Rollenidentifikation. Die
Teilnehmer des Rollenspiels stellen die Rollen mit Hilfe ihrer eigenen
Sprache, ihrer eigenen Person und ihrer eigenen Ausdrucksweisen dar. Somit
ist ein freier Ausdruck des Lernenden gewährleistet. Nach Célestin
Freinet ist dieser „freie Ausdruck“ eine wichtige Voraussetzung für
Lernprozesse. Durch das Vertreten einer Rollenposition im Diskussionsgespräch
mit anderen Teilnehmern erkennen Sprecher und Zuhörer die Standpunkte
von Personen oder Personengruppen. Die Auseinandersetzung mit den einzelnen
Rollenpositionen führt zu einer Vernetzung der Probleme und stellt
Zusammenhänge her. Erst dadurch wird ein höheres Verstehen und
Begreifen möglich.
Zusammenhang der Einheit In der Unterrichtseinheit „Nitrate und Düngemittel“ wurden folgende Themenbereiche behandelt: a) Salpetersäure
und Nitrate, Herstellung und Eigenschaften
Mit Hilfe des Merckoquant-Nitrattests ist ein einfacher quantitativer Nachweis von Nitrat in Kartoffeln möglich. Kartoffeln mit einem Nitratgehalt von über 100 mg pro Kilogramm sind nach Angaben der Firma Merck als überdüngt anzusehen (1). Der Einstieg in die Untersuchung erfolgte problemorientiert. Ich zeigte den Schülern eine gewöhnliche Kartoffel und befragte sie, wer von ihnen die Kartoffel essen würde. Alle Schüler stimmten für das Essen der Kartoffel. Ich zerschnitt eine Kartoffel und nahm einen Nitrattest vor. Die Kartoffel zeigte einen Nitratgehalt von 250 mg/kg. Ich zeigte den Schülern eine Chemikalienflasche mit der Aufschrift „Kaliumnitrat“ und entnahm daraus 250 mg Kaliumnitrat. Obwohl ich darauf hinwies, dass die Kartoffel als überdüngt anzusehen ist, stimmten nach der Untersuchung, mit Ausnahme von zwei Schülern, wiederum alle für das Essen der Kartoffel. Die Schüler meinten, dass der Stoff Kaliumnitrat, der für sie bis dahin weitgehend unbekannt war, ungiftig und folglich unschädlich sei, weil die Flasche lediglich mit dem Gefahrensymbol "brandfördernd" gekennzeichnet sei. An diesem Beispiel zeigt sich, dass der Verbraucher oft nur nach dem Etikett geht und nicht nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Das Thema Nitrat ist brisant. Während ein Chemiker den Stoff Kaliumnitrat eventuell als unbedenklich einstuft, sieht ein Toxikologe oder eine Kinderärztin den Sachverhalt ganz anders. Das Problem einer Langzeitwirkung besteht darin, dass eine unmittelbar messbare Folge oder Auswirkung einer Vergiftung fehlt. Obwohl die meisten Schüler die nitratbelastete Kartoffel immer noch essen wollten, bestand jetzt eine Unsicherheit, welche zu einer ersten Sensibilisierung für das Problem Nitrat hinführte. Die Untersuchung der Kartoffeln ergab folgende Ergebnisse:
Das Rollenspiel simuliert eine Podiumsdiskussion, welche aufgrund eines fiktiven Trinkwasserskandals in der Gemeinde zustande kam. Zuerst wurden die Bürger der Gemeinde nicht über die hohen Nitratwerte im Trinkwasser informiert. Erst nachdem einige Fälle von Blausucht bei Säuglingen auftraten und eine örtliche Umweltschutzorganisation über die Presse auf die Fälle aufmerksam machte, wurde der Skandal bekannt. Das Trinkwasser musste danach in der Gemeinde für eine bestimmte Zeit mit Tankwagen herbeigeschafft werden, da das örtliche Trinkwasser einen Nitratgehalt von 190 mg pro Liter aufwies. Der gesetzliche Grenzwert für Trinkwasser beträgt 50 mg Nitrat pro Liter. Zur Information der Bürger wurde eine Podiumsdiskussion veranstaltet, an der sowohl Experten und Sachverständige als auch Bürgervertreter teilnehmen konnten. Zuerst trugen die Referenten ihre Positionen vor, danach gab es eine heftige Diskussion zwischen allen Beteiligten. Die Diskussion fand am Abend an der Realschule der Gemeinde statt. Acht verschiedene Referenten kommen am
Anfang zu Wort und können ihre Meinungen vertreten. Die Schüler
übernehmen die Rollen dieser einzelnen Referenten. In einer Klasse
mit beispielsweise 18 Schülern bietet sich folgende Vorgehensweise
an: Die einzelnen Rollen werden doppelt besetzt, die Vorbereitung erfolgt
in Zweiergruppen, der Vortrag kann auch zu zweit gehalten werden. Ein Schüler
übernimmt die Rolle des Rektors oder der Rektorin und des Diskussionsleiters
und ein weiterer ist Kamera- und Regieassistent. Für die Vorbereitung
der Rollen sollte genügend Zeit gegeben werden. Als Vorspann zur eigentlichen
Diskussion filmte ich mehrere Interviews von Pressevertretern mit der Bevölkerung.
Das Filmen dieser Interviews erfolgte völlig spontan während
der Vorbereitungszeit auf die einzelnen Rollen. Die Vorbereitung der Schüler
kann im Freien erfolgen. Dies ist von Vorteil, weil die Schüler dann
beispielsweise bei einer Generalprobe ungezwungener sind und weil sie sich
nicht gegenseitig stören.
Technische Details und weitere Tips Viele Schüler kleideten sich entsprechend ihrer Rolle. Herr Dr. Mager von der Firma BASF AG trat in Krawatte und Jackett auf. Interessanterweise spielte diese Rolle der Punker der Klasse, der an diesem Tag geschniegelt in der Schule erschien. Die Vertreter von Greenpeace gaben sich leger im Öko-Look, und die Ärztin erschien modisch adrett. Der Schüler, welcher Kameraassistent war, ließ sich einiges einfallen. Er bastelte drei verschiedene Schilder und zeigte sie der Klasse während die Darsteller ihre Rollen spielten: Schilder: „Ruhe!“ „Bravo!“ „buuh!“ Mit der Klasse wurde ein Zeichen
vereinbart,
welches das in drei Sekunden beginnende Laufen der Kamera anzeigte (Arm
heben). Nach dem Senken des Armes müssen die Darsteller darauf
achten,
dass sie erst nach weiteren drei Sekunden mit der Handlung beginnen,
damit
auf dem Videoband ein Leerlauf für den späteren Schnitt
vorhanden
ist. Als Videokamera eignet sich ein analoger oder ein digitaler
Camcorder.
Der Camcorder sollte eine hohe Lichtstärke aufweisen und einen
separaten
Mikrofoneingang besitzen. Das Mikrofon wird direkt vor die Referenten
auf
den Tisch gestellt. Dadurch ist der Kameramann/die Kamerafrau beweglich.
Hat der Camcorder nur ein eingebautes Mikrofon, ist darauf zu achten,
dass
der Abstand vom Mikrofon zum Darsteller nicht mehr als zwei Meter
beträgt.
Zwischen einzelnen Filmabschnitten können nachträglich beim
Schnitt
Textsequenzen eingebaut werden. Diese zeichnen die Schüler selbst.
Beispiele: Filmtitel, Darsteller, Situation (Zeitungsbericht über
den Trinkwasserskandal, Fernsehinterview, „Podiums-Diskussion“, „nach
einer
kurzen Pause“, „Pleiten, Pech und Pannen“, etc.). Steht eine
Schnitteinrichtung
zur Verfügung, kann das Filmmaterial gemeinsam mit den
Schülern
bearbeitet werden. Bei der Verfilmung zeigte sich, dass die Darstellung
einer Szene meistens erst beim zweiten Male optimal klappte. Das
mehrfache
Drehen von Szenen gibt den Schülern die Sicherheit, sich unbefangen
vor der Kamera zu bewegen. Ein Fehler kann sofort durch eine zweite
„Klappe“ korrigiert werden. Zur Vorbereitung auf die Szenen
benötigen die Schüler
etwa vier Stunden, die Verfilmung benötigt je nach Gruppenbesetzung
vier bis sechs Stunden, die Auswertung, das Betrachten und Sprechen
über
das Ergebnis zwei Stunden. Das Rollenspiel kann auch ohne Verfilmung
gespielt
werden.
Die einzelnen Rollen im Überblick a) Herr Steinbichler, Landwirt vom Landwirtschaftsverband b) Herr Dr. Mager von der BASF AG Er vertritt die Interessen der chemischen Industrie und versucht, die Zuhörer ebenfalls von der Notwendigkeit der Mineraldüngung zu überzeugen. Er vertritt aber die Meinung, dass Nitrat völlig unschädlich sei. c) Herr oder Frau Fischer von Greenpeace d) Herr Frei, Landwirt mit Erzeugnissen
aus ökologischem Anbau e) Frau Wassmer, Hausfrau f) Frau Dr. Ring, Ärztin g) Herr Hüttinger, Schüler h) Frau Wagner, Lehrerin i) Rektor Bühler Düngemittel sind zwar angesichts der
Bevölkerungsexplosion und des Nährstoffentzugs der Pflanzen aus
dem Boden unersetzlich geworden, andererseits stellt sich die Frage, ob
der Einsatz von Düngemitteln im heutigen Umfang nicht auch schädlich
für den Menschen und seine Zukunft sein könnte. Das Rollenspiel
simuliert eine Podiumsdiskussion, die von Schülern der Realschule
Mühlheim initiiert und vom Südwestfunk aufgezeichnet wurde.
Einleitung durch Herrn Rektor Bühler Sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Schüler, zur heutigen Podiumsdiskussion begrüße
ich viele sachkundige Gäste. Als sachkundigen Experten begrüße
ich Herrn Dr. Mager von der BASF AG Ludwigshafen und als Umweltexperte
Herrn Fischer von Greenpeace. Als Vertreter der Landwirte des Bezirks begrüße
ich Herrn Steinbichler. Aus unserer Gemeinde heiße ich Frau Dr. Ring,
Frau Wassmer und Herrn Frei willkommen. Frau Wagner und Herr Hüttinger
von unserer Schule sind Ihnen ja wohlbekannt. Worum es heute geht, wissen
die meisten. Die Erinnerung an den Trinkwasserskandal in unserer Gemeinde
sitzt vielen noch tief in den Knochen. Wegen der hohen Nitratbelastung
des Trinkwassers musste unsere Gemeinde 8 Wochen lang Wasser aus Tankwagen
beziehen. Wir wollen heute über den sinnvollen Einsatz von Düngemitteln
diskutieren und uns mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen. Zuerst
möchte ich Herrn Steinbichler vom Landwirtschaftsverband das Wort
erteilen.
Herr Steinbichler, Landwirt In der letzten Zeit hat es aufgrund des Trinkwasserskandals massive Vorwürfe von Seiten der Presse und der Bevölkerung gegen die Landwirte gegeben. Die Landwirte seien schuld an der hohen Nitratbelastung des Trinkwassers, weil sie verantwortungslos mit der Düngung und der Gülleanwendung im Herbst umgegangen seien. Tatsächlich hat in diesem Jahr eine Vielzahl von ungünstigen Faktoren zu hohen Nitratgehalten in den Böden geführt: 1. Ein verheerender Schädlingsbefall im Gemüsebetrieb Hörcher hat dazu geführt, dass die Pflanzen dem Boden kein Stickstoff entziehen konnten. 2. Die Trockenheit des Sommers brach bisher alle Rekorde. Dadurch wurde die Stickstoffaufnahmefähigkeit der Pflanzen zusätzlich beeinträchtigt. Der Vorwurf, dass ein bestimmter Betrieb Güllereste in ein Trinkwasserschutzgebiet eingeleitet haben soll, erscheint uns nicht gerechtfertigt. Die Landwirte unseres Bezirks werden über die Anwendung und die Gefahren der modernen Landwirtschaft regelmäßig von unserem Verband informiert. Es wird in dieser Runde wohl niemand abstreiten, dass eine sachgemäße Düngung für die Landwirtschaft und damit für die Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen unverzichtbar ist. Viele Böden sind heute arm an Stickstoff und könnten ohne zusätzliche Mineraldüngung nicht mehr bewirtschaftet werden. Stickstoff ist ein wichtiger Pflanzennährstoff. Die Pflanzen benötigen den Stickstoff beispielsweise zum Aufbau von Eiweißen, Enzymen oder Chlorophyll. Diese Stoffe brauchen die Pflanzen für ihren Stoffwechsel. Als Düngemittel sind alle stickstoffhaltigen Verbindungen geeignet. Nitrate enthalten Stickstoff und können in Form des Mineraldüngers Ammoniumnitrat den Böden zugeführt werden. Der Vorwurf, dass die übermäßige Düngung mit chemischen Mineraldüngern zu der Nitratanreicherung geführt habe, ist unberechtigt. Wie Sie auf der Zeichnung sehen können,
ist nicht nur der Nitratdünger für die Nitratanreicherung in
den Böden verantwortlich, sondern auch die viel gepriesene, natürlich-biologische
Gülle. Die Gülle enthält nämlich Ammoniumsalze, welche
sich im Boden in Nitrat umwandeln. Ich möchte nochmals darauf hinweisen,
dass die Mineraldüngung des Bodens für unser Gewerbe unverzichtbar
ist, zumal sich die Landwirte angesichts der neuen Agrargesetze der EG
sowieso in einer schwierigen Lage befinden.
Herr Dr. Mager von der BASF AG Ludwigshafen Ich kann Herrn Steinbichler nur beipflichten,
die Düngung mit chemischen Erzeugnissen – unter anderem auch aus unserem
Hause – ist nicht wegzudenken. Unsere Haber-Bosch-Anlage in Ludwigshafen
produziert täglich 1350 Tonnen Ammoniakgas (2), aus welchem der Hauptteil
der Düngemittel gewonnen wird. Haber und Bosch haben dieses
Verfahren 1909 entwickelt, und es war vielleicht eine der wichtigsten Erfindungen
in unserem Jahrhundert. Angesichts der Bevölkerungsexplosion ist es
ein großer Verdienst der chemischen Industrie, dass sie ein Verfahren
entwickelt hat, welches die Herstellung von Düngemitteln im großen
Umfang ermöglicht. Mit Hilfe dieses Verfahrens kann Ammoniak fast
direkt aus Erdgas gewonnen werden, wie Sie auf folgendem Schema sehen.
Auf der folgenden Graphik sehen Sie, welche
Auswirkungen die Erfindung von Haber und Bosch auf die Erträge von
verschiedenen Gemüsesorten gehabt hat. Es ist ganz logisch, dass ohne
die chemische Industrie noch viel mehr Menschen hungern müssten, vielleicht
müssten sogar Sie hungern.
Quelle: E. Höfling, H. Menrad, u.a.: Unterrichtspraxis Chemie, Band 3, S. 41 Die chemische Industrie gibt vielen Menschen
die Arbeit, sie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, es gibt fast
kein Produkt mehr, welches ohne unsere Beteiligung hergestellt wurde. Stellen
Sie sich vor, Sie müssten ohne uns auskommen... Kommen wir wieder
zum Thema Nitrat. Nach allen vorliegenden Erkenntnissen der Wissenschaft
ist das Nitrat für Erwachsene in der Regel harmlos. Akute Vergiftungen
können nur bei Kleinkindern auftreten, für Erwachsene reichen
die Mengen selbst aus nitratangereichertem Trinkwasser nicht aus, um eine
Vergiftung auszulösen. Zu dem minimalen und vorübergehenden Nitratanstieg
in Ihrer kleinen Gemeinde möchte ich Sie beruhigen: Dieses natürliche
Phänomen hat es immer wieder mal gegeben. Im nächsten Sommer
regnet es bestimmt wieder mehr.
Herr Fischer von Greenpeace Nach den Ausschweifungen von Herrn Dr. Mager möchte ich wieder zur Sache kommen. Der Trinkwasserskandal in Ihrer Gemeinde ist keineswegs beruhigend. Ähnliche Fälle hat es in den letzten Jahren auch in anderen Gemeinden gegeben. Ich bezweifle auch, dass die Düngung der Landwirte generell sachgemäß erfolgt. Oft liegt hier doch kurzfristiges und engstirniges Denken nach dem Motto „heute reich, morgen egal“ vor. Eine Steigerung des Ernteertrages führt zwar momentan zu höheren Erträgen, langfristig gesehen erschöpfen sich aber die Böden, wie wir es bereits in vielen Entwicklungsländern sehen können. Wenn wir nicht sorgfältig und verantwortungsbewusst mit Düngemitteln umgehen, wird uns dies einmal teuer zu stehen kommen. Nun zu Ihrem Trinkwasserskandal und damit zu den Fakten: In Ihrem Trinkwasser wurde ein Nitratgehalt von 190 Milligramm pro Liter festgestellt. Damit ist der gesetzlich festgelegte Höchstwert von Nitrat im Trinkwasser nach der Trinkwasserverordnung von 50 Milligramm pro Liter bei weitem überschritten. Nach unserer Meinung ist der gesetzliche Wert schon viel zu hoch angesetzt. Der Grenzwert sollte bei 25 Milligramm pro Liter liegen (3). Des weiteren weisen die Gemüsesorten, vor allem die Kartoffeln und der Spinat aus dem Umfeld Ihrer Gemeinde hohe Nitratgehalte auf, was eindeutig auf eine Überdüngung, sei es mit Mineraldünger oder mit Gülle, zurückzuführen ist. Für Gemüse gibt es zwar keine einheitlichen Grenzwerte, doch ist nach unserer Meinung eine Kartoffel mit mehr als 100 mg pro Kilo als überdüngt anzusehen. Einzelne Kartoffeln aus Ihrer unmittelbaren Umgebung hatten bis zu 700 mg Nitrat pro Kilogramm. Wir fordern daher dringend eine Aufklärung für die verantwortlichen Landwirte und strengere Kontrollen beim Gemüseanbau in ihrer Gemeinde. In dem von Herrn Steinbichler bezeichneten Trinkwasserschutzgebiet haben wir übrigens Bodenproben entnommen und festgestellt, dass wahrscheinlich eine unsachgemäße Beseitigung von großen Mengen an Gülleresten mit zu der Trinkwasserverseuchung geführt hat. Die vielen Umweltprobleme, die wir im Moment
haben und die sich noch vermehren werden, sind auf unverantwortliches Handeln
in vielen Bereichen, von der Politik bis hin zu jedem einzelnen zurückzuführen.
Ich möchte zum Schluss noch ein aktuelles Beispiel anführen.
Durch die Verschmutzung der Luft baut sich das Ozon in der oberen Schicht
der Atmosphäre ab. Dadurch gelangt mehr UV-Licht an die Erdoberfläche.
Wie Sie wissen, sind ja Bakterien und viele andere Tier- und Pflanzenarten
gegen eine geringfügige Erhöhung der UV-Strahlung äußerst
empfindlich. Die natürlichen Kräfte des Bodens werden durch die
Umweltverschmutzung zerstört, die Pflanzen werden gegen Krankheiten
anfälliger und müssen gespritzt und gedüngt werden. Der
Einsatz von Spritzmitteln führt aber wieder zu einer Belastung der
Umwelt, so dass der Kreis von neuem beginnt. Wir müssen also immer
mehr künstliche Mittel zur Erhaltung der Welt einsetzen, die natürlichen
Lebensgrundlagen gehen dabei zugrunde. Sie sehen, dass das Problem Düngemittel
mit anderen Umweltproblemen vernetzt ist.
Herr Frei, Landwirt mit Erzeugnissen aus ökologischem Anbau Das Gemüse in meinem Laden stammt ausschließlich aus biologisch-ökologischem Anbau. Meine Felder liegen in der Gemarkung des Nachbarortes. Beim biologisch-ökologischen Anbau wird nicht die Pflanze direkt gedüngt, sondern der Boden. Das bedeutet, dass man Kleinorganismen des Bodens wie zum Beispiel Bakterien oder Regenwürmer füttert und hegt. Dabei werden nur natürliche Abfallprodukte wie zum Beispiel Kompost verwendet. Untersuchungen haben ergeben, dass selbst die Kleingärten, also Ihre Gärten, liebe Zuhörer, überdüngt sind. Versuchen Sie es doch einfach mit einer Kompostierung! Der biologische Anbau verzichtet auf Mineraldünger, diese sind gar nicht notwendig, und er verzichtet auf die Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Es gibt eine Menge natürlicher Rezepte für die Bekämpfung der Schädlinge. Wenn Sie dazu Rat brauchen, fragen Sie mich doch einfach! Als Spritzmittel gegen Blattläuse hat sich zum Beispiel ein Brennnesselauszug bewährt. Viele Gärtner greifen da schon zur Giftspritze. Als Argument gegen die biologische Landwirtschaft werden oft ein zu geringer Ertrag und hohe Kosten angeführt. Dazu möchte ich Ihnen ein paar Zahlen gegenüberstellen: Im Winterweizenanbau, der mit Mineraldüngern gedüngt wurde, stieg der Hektarverbrauch an Stickstoff (aus dem Boden) von 24 kg pro Hektar im Jahre 1950 auf 113 kg pro Hektar im Jahre 1978, das ist eine Steigerung von 470 %. Dem gegenüber steht aber nur eine Erntesteigerung von 28 auf 50 Doppelzentner (4), also nur um 78 %. Die Mineraldüngung ist also gar nicht wirtschaftlich! In der biologischen Landwirtschaft bleiben
auch ökologische Lebensräume wie zum Beispiel Hecken erhalten,
welche für viele Tiere einen wichtigen Lebensraum darstellen. Die
biologischen Erzeugnisse weisen viel weniger Nitrat auf, wie folgende Tabelle
zeigt:
Durchschnittlicher
Nitratgehalt in Milligramm pro Kilogramm (5)
Die Tabelle zeigt auch, dass Treibhausgemüse
wesentlich höhere Nitratgehalte aufweist. Ein im Winter im Treibhaus
angepflanzter Kopfsalat enthält mehr Nitrat als ein Kopfsalat im Sommer
aus Feldanbau. Meine Empfehlung ist: Essen Sie nur Gemüse, welches
in der entsprechenden Zeit auch im Freien wächst, am besten aus biologischem
Anbau. Dann helfen Sie auch mit, unsere Umwelt zu erhalten. Wenden Sie
die biologische Anbauweise auch in Ihrem Garten an, dann helfen Sie mit,
dass das Wasser unserer Gemeinde sauber bleibt.
Frau Wassmer, Hausfrau Puh. Ich muss mir jetzt einfach mal Luft machen. Wer soll denn da noch den Durchblick haben! Die einen sagen, das Nitrat ist unbedenklich, die anderen reden von Grenzwerten und Biogemüse. Bisher hat mir noch niemand gesagt, warum das Nitrat überhaupt schädlich sein soll. Wir essen schon seit über 20 Jahren unser Gemüse, und es schmeckt uns nach wie vor. Jetzt wird plötzlich gesagt, es sei schädlich oder sogar vergiftet. Da kann man ja nichts mehr essen. Und woher weiß ich, ob das Gemüse im Supermarkt aus biologischem Anbau stammt? Und selbst wenn es dran steht, woher weiß ich, dass das auch wirklich stimmt? Mein Mann arbeitet in der Fabrik und verdient nicht besonders viel. Wir haben zwei Kinder und das Geld reicht uns gerade, wenn ich beim Einkaufen darauf achte. Das Biozeug ist doch meistens viel teurer, das können wir uns nicht leisten. Wenn ich das Gemüse auf dem Markt kaufe, ist es zwar auch billig, aber ich besitze kein Auto, und mein Mann fährt mich nur einmal in der Woche zum Supermarkt. Die haben alles an Gemüse, was wir brauchen. Und die Äpfel sind dort viel größer und schöner als die verkrüppelten Dinger aus biologischem Anbau beim Frei. Und das für den halben Preis! Als das Trinkwasser in unserem Ort verseucht war, haben meine Kinder anfangs das Wasser getrunken und es ist nichts passiert. Es hat genauso geschmeckt wie sonst. Die Schuldigen sollen die Bauern sein?
Die sind doch genauso arm wie wir, bei den niedrigen Preisen für Gemüse
verdienen die doch nichts. Die wahren Schuldigen sind die anderen Länder
und die Politiker, die die Preise in der EG drücken. Da müssen
sich die Bauern ja was einfallen lassen. Also geben sie halt mehr Dünger
auf die Felder, damit sie wenigstens überleben können.
Frau Dr. Ring, Ärztin Liebe Frau Wassmer, ich möchte Ihnen aus meiner Praxis berichten, welche Fälle ich während der Trinkwasserverseuchung durch Nitrat behandelt habe. In dieser Zeit kamen mehrere Mütter mit ihren Säuglingen zu mir. Die Babys hatten alle dieselben Symptome: Leichte Blauverfärbungen der Haut und der Lippen und Atemnot. Ein Kind wäre fast daran gestorben. Bei allen Kindern handelte es ich um eine akute Blausucht. Blausucht tritt bei Kleinkindern auf, wenn sie zuviel Nitrat über die Nahrung oder über das Trinkwasser aufnehmen. Bei Säuglingen ist die Magensäureproduktion noch nicht voll ausgebildet. Dadurch kann sich im Magen des Säuglings Nitrat in größeren Mengen zu dem giftigen Nitrit umwandeln. Nitrit ist ein Blutgift, welches den Sauerstofftransport im Blut stört. Die akute Vergiftung äußert sich in einer Blauverfärbung der Lippen und der Haut. Ich möchte an dieser Stelle auch darauf
hinweisen, dass das Nitrat für Erwachsene keineswegs so unbedenklich
ist, wie von einigen Leuten hier angenommen wird. Im Speichel des Erwachsenen
werden regelmäßig kleine Mengen Nitrat in Nitrit umgewandelt.
Diese Nitrit kann mit Aminen, die im Magen vorhanden sind, weiterreagieren
zu Nitrosaminen (6):
Nitrosamine sind äußerst gefährliche
Substanzen, die schon in winzigen Mengen Krebs erzeugen können. Es
besteht der Verdacht, dass Nitrate an der Entstehung von Krebs zu einem
wesentlichen Anteil aus diesem Grund beteiligt sind. Ich kann Ihnen allen
nur raten, so wenig Nitrat wie möglich über die Nahrung einzunehmen.
Babys sollten grundsätzlich nur Babykost aus Babynahrung und Wasser
aus nitratarmen Mineralquellen verabreicht werden. Ich kann Herrn Frei
mit seiner Konzeption von biologischem Gemüseanbau nur gratulieren.
Allerdings reicht es oft schon, wenn Sie Gemüse auf dem Markt bei
einem seriösen Bauern kaufen, keinesfalls aber im Supermarkt. Versuchen
Sie so gesund wie möglich zu leben, bewegen Sie sich viel im Freien
und meiden Sie Stress, dann ist Ihr Körper gegen die vielen Umweltgifte
der heutigen Zeit besser gewappnet.
Herr Hüttinger, Schüler Ich möchte mich nur noch kurz zum Thema äußern. Wir haben in unserer Schule Nitrattests durchgeführt und zum Teil widersprüchliche Ergebnisse erhalten. In der Regel hatte das Biogemüse zwar weniger Nitrat als das herkömmliche Gemüse, aber in einem Fall lag eine sogenannte Biokartoffel weit über dem Durchschnitt des Tolerierbaren. Diese Kartoffel kostete zwar das doppelte als eine andere, sie hatte dafür auch den doppelten Nitratgehalt. Aufgrund unserer Untersuchungen haben wir eine Liste von Verbrauchertips angefertigt, die es jedem ermöglicht, sich gesundheitsbewusst zu ernähren. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass gepökeltes Fleisch und jeder holländische Käse Nitrat enthält. Sie müssen beim Kauf von Käse oder Wurst auf die E-Nummern achten. E 250, E 251 und E 252 sollten Sie meiden. Sind Nahrungsmittel mit diesen E-Nummern gekennzeichnet, enthalten sie Nitrate oder Nitrite zur Haltbarkeitsmachung. Wenn Sie Interesse haben, können Sie die Verbrauchertips bei mir oder auf dem Informationstisch erhalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Wagner, Lehrerin Es ehrt mich, dass ich das Schlusswort habe. Soviel möchte ich sagen: Die Beiträge waren sehr interessant, und ich habe einiges dazugelernt. Ich möchte noch kurz auf eine Sache eingehen, die bisher nicht angesprochen wurde: Es ist immer nur die Rede von Nitrat, dabei hat auch das Phosphat, welches in den Düngemitteln ebenfalls enthalten ist, verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Nitrate sind die Salze der Salpetersäure, Phosphate die Salze der Phosphorsäure. Die Nitrate sind wegen ihres Stickstoffgehaltes für die Düngung von Bedeutung, die Phosphate wegen ihres Phosphorgehaltes. Phosphate sind ausgezeichnete Nährstoffe für die Algen im Wasser. Gelangen Phosphate über das Grundwasser in ein Gewässer, erhalten die Algen ein Überangebot an Nährstoffen. Dadurch vermehren sie sich rasant, es kommt zu einer Algenblüte. Das Gewässer eutrophiert. Die Wassertiere, welche sich von Algen ernähren, erhalten vorübergehend mehr Nahrung und nehmen ebenfalls zu. Wo es mehr Tiere gibt, sterben auch mehr, so dass mehr Leichname vorhanden sind, welche durch Bakterien zersetzt werden. Die Bakterien verbrauchen dabei Sauerstoff und bilden Fäulnisstoffe. Der Sauerstoffgehalt nimmt nun so drastisch ab, dass die meisten größeren Wassertiere, wie Fische, Krebse und Schnecken ersticken, das Gewässer beginnt umzukippen. Durch die Algenblüte an der Oberfläche gelangt kein Licht mehr in tiefere Wasserschichten, so dass die dort lebenden Pflanzen zugrunde gehen und keinen Sauerstoff mehr nachbilden. Das Gewässer kippt um und stirbt. Diese Beispiel zeigt meiner Meinung nach sehr schön, dass ein übertriebenes Wachstum zwar kurzfristig ein Mehr bringt, dass es aber ein Irrweg ist. In diesem Sinne plädiere ich für einen vernünftigen Einsatz von Düngemitteln. Die Vorträge sind nun zu Ende, ich
möchte den Diskussionskreis jetzt für alle Zuhörer öffnen.
Ich bitte um rege Teilnahme an der anschließenden Diskussions- und
Fragerunde.
Quellennachweis (1) nach E. Merck (Hg.), Schnelltest Handbuch (2) nach Christen, Chemie, S. 266 (3) Richtlinie des Rates vom 15.7.81 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, Amtsblatt der EG Nr. L 299/11 (4) nach Katalyse (Hg.), Chemie in Lebensmitteln, 37. Auflage, S. 371 (5) aus Katalyse (Hg.), Was wir alles schlucken, S. 106 (6) vgl. mit Kübler/Hüppe, Welche
Nitrataufnahme ist für den Menschen vertretbar? Literatur
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