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Terpentin
 
Vor allem Nadelgehölze sondern bei tiefen Verletzungen der Rinde einen Balsam ab. In der Fachsprache nennt man diesen auch Terpentin. Der Venetianische Terpentin ist nach seinem früheren Hauptumschlagplatz Venedig benannt, es handelt sich hierbei um den Balsam der Lärche, die an den Südhängen der Europäischen Alpen wächst. Während der dickflüssige Lärchenterpentin (siehe Bild) zartgelb und leicht getrübt erscheint, ist der Straßburger Terpentin aus Weißtannen dünnflüssiger und wasserklar. Durch das Destillieren des Balsams (beispielsweise der Kiefer) erhält man dünnflüssiges Terpentinöl, der harzartige Rückstand bildet Kolophonium.
  
 
Geschichte Gewinnung Rezepturen Bindemittel Portraits
   
Geschichte und Verwendung
Die Destillation von Terpentinöl aus Balsamen lässt sich bis in die Eisenzeit zurückverfolgen. Schon die alten Ägypter benötigten es zur Mumifizierung. Früher, so auch um 1843, wurde Terpentinöl noch als Hausmittel der Volksmedizin zum Einreiben gegen Frostbeulen und Gichtknoten und sogar zum inneren Einnehmen gegen Migräne oder zur Bekämpfung des Bandwurmes empfohlen. Mit einem Federbart auf Verbrennungen gestrichen oder auf Baumwolle getropft in einen hohlen Zahn gesteckt sollte es Schmerzen lindern. Heute erscheinen uns diese Anwendungen aufgrund des hohen Potentials einer sensibilisierenden Wirkung etwas merkwürdig. 
  
Terpentinöl dient heute zum Herstellen von Lacken und zum Verdünnen von Ölfarben und Anstrichfarben. Zum Verdünnen von Ölfarben wird eine Mischung von Lärchenterpentin mit französischem, mehrfach rektifiziertem Terpentinöl im Volumenverhältnis drei zu eins empfohlen. Diese Mischung gilt als relativ sicher vor Vergilbungen. Sikkative beschleunigen die Trocknung von Ölfarben, sie enthalten meist Lösungen von Metallseifen in Terpentinöl. Terpentinöl wird auch in Bohnerwachs oder in Schuhcreme eingesetzt. Es eignet sich ebenso zum Entfernen von Fettflecken.  
  
Kanadabalsam besitzt ähnliche Brechungseigenschaften wie optisches Glas. Daher wurde er früher zum Verkitten von optischen Linsen oder zum Reparieren von Kratzern im Glas benutzt. Die Klebestellen bleiben so gut wie unsichtbar. Auch zum Konservieren von mikroskopischen Präparaten eignet sich Kanadabalsam.
   
Gewinnung
Nadelbäume wie die Fichte, die Tanne, die Lärche oder die Kiefer scheiden Balsame in ihren Rinden oder im jungen Holz aus. Diese sind in besonderen Zellen der Pflanzen gelagert. Bei Verletzungen durch Tierfraß, durch den Menschen oder durch Witterung wird der Balsam nach außen abgegeben. Bei der Gewinnung von Lärchenterpentin in Tirol (Niederösterreich) wird die Lärche in einer Höhe von etwa 30 Zentimeter über dem Boden künstlich angebohrt. Die bis zu drei Zentimeter breiten Bohrungen gehen bis in den Kern, sie werden mit einem Zapfen verschlossen. Im Herbst werden die Bohrungen geöffnet und der sich bildende Terpentin herausgenommen. Im Winter bleiben die Bohrungen verschlossen. Pro Baum lassen sich 70 bis 200 Milliliter Terpentin gewinnen.  
  
  
Austretender Balsam an einem Nadelbaum



Der Anteil an ätherischen Ölen verdampft, zurück bleibt ein Harz zum Wundverschluss.
  
  
Im Elsass liefern die dort wachsenden Weißtannen relativ viel Terpentin. Der klare Terpentin der Weißtannen sammelt sich in Harzbeulen der Rinde. Dieser natürliche Harzvorrat wird geöffnet, dann lässt man ihn in zugespitzte Gefäße laufen. Das Produkt ist nach seinem früheren Handelsplatz Straßburg auch unter dem Namen Straßburger Terpentin im Handel. Heute erfolgt jedoch keine Gewinnung mehr im Elsass. Der in Nordamerika gewonnene Kanadabalsam ist ebenfalls wasserklar, er wird aus der Balsamtanne Abies balsamae gewonnen. Diese beiden klaren Sorten gelten als die hochwertigsten.  
  
In Frankreich gewinnt man einen Terpentin aus der Strandkiefer. Die Gewinnung von Terpentinöl erfolgt aus dem Balsam von Kiefernarten, für den es keine Verwendung gibt. Der Balsam wird erhitzt, so dass die ätherischen Öle abdampfen. Das Destillat bildet Terpentinöl, während der harzige Rückstand nach dem Entzug von Wasser als Kolophonium Verwendung findet. Bei der ersten Destillation gehen auch harzartige Bestandteile über. Diese sind im Terpentinöl aber unerwünscht, da sie bei Firnissen zu Vergilbungen führen. Hochwertiges Terpentinöl ist daher mehrfach unter Zuhilfenahme von Dampf destilliert. Die Reinheit wird mit Hilfe eines Refraktometers und der Bestimmung des Brechungsindexes bestimmt. Während das Balsamterpentinöl aus dem Balsam der Nadelbäume gewonnen wird, erhält man Holzterpentinöl durch eine Wasserdampfdestillation aus zerkleinertem Wurzelholz der Kiefer. Sulfat-Terpentinöl fällt als Nebenprodukt bei der Celluloseherstellung nach dem Sulfatverfahren aus Kiefernholz an.  
  
Chemisch zählen die Terpentinöle zu den ungesättigten Kohlenwasserstoffen. Sie sind reich an Terpenen mit Doppelbindungen. Daher reagieren sie unter Lichteinfluss gerne mit Sauerstoff. Sie müssen gut verschlossen in dunklen Gefäßen aufbewahrt werden. Terpentinöle in hellen Glasflaschen färben sich gelb oder sie trüben ein. Für Künstlerzwecke wird empfohlen, sich immer nur kleine und frische Mengen einzukaufen. Terpineol ist ein aus Terpentinöl gewonnenes Produkt. Terpenalkohole sind vor allem im Holz-Terpentinöl enthalten. Die klare, fliederartig riechende Flüssigkeit hat eine hohe Viskosität und wird von Künstlern gerne eingesetzt, wenn der Pinselstrich nicht zerfließen und die Ölfarben matt auftrocknen sollen.

Die Terpene im Terpentinöl dienen auch zur synthetischen Herstellung von Campher.
   
Toxikologie
Die im Terpentinöl enthaltenen Terpene wie α-Pinen gelten als hautsensibilisierende oder atemreizende Stoffe. Die Exposition erfolgt durch Haut- und Augenkontakt oder über das Einatmen der Dämpfe. Innenräume, die mit frischen Hölzern ausgekleidet sind, enthalten eine hohe Konzentration an Terpenen. Die Hölzer tragen zur Ausbildung des Sick-Building-Syndroms bei. Dieses äußert sich in Reizungen oder Entzündungen der Haut, der Augen und in den Atemwegsorganen. Aber auch das zentrale Nervensystem ist betroffen; Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen treten auf.  
  
Terpentine und Terpentinöl gelten als giftig für Wasserorganismen. Reste dürfen daher nur als Sondermüll bei einer entsprechenden Abgabestelle entsorgt werden. Terpentinöl ist eine entzündbare Flüssigkeit. Sie darf nur fest verschlossen in dunklen Gefäßen an einem sicheren Ort aufbewahrt werden. Beim Verschlucken besteht akute Aspirationsgefahr, da die Flüssigkeit über die Speiseröhre zurück in die Lunge fließen und dann zum Ersticken führen kann. Mit Öl getränkte Lappen können sich von selbst entzünden. Diese dürfen niemals zerknüllt, sondern nur ausgebreitet auf einer feuersicheren Unterlage getrocknet werden. Zum Reinigen von ölverschmutzten Pinseln wird nicht mehr Benzin oder Terpentinöl, sondern ein ökologischer Pinselreiniger empfohlen. Der Einsatz von Terpentin oder Terpentinöl in der Schule ist aufgrund der sensibilisierenden Wirkung problematisch.

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