Die Brennerprüfung
Eine Leistungsbewertung nach sachlicher Bezugsnorm Beitrag von den Autoren eingesendet: Andreas Dickhäuser, Dr. Oliver Dickhäuser und Stephanie Olbrich Veröffentlicht u.a. in: Praxis Schule 5-10, Heft 2, April 1999. S. 57-59. Westermann-Verlag, Braunschweig Zusammenfassung Grundqualifikationen und Mindestkompetenzen
im naturwissenschaftlichen Unterricht werden bei der Lehrplanfortschreibung
zunehmend diskutiert (vgl. Schulversuch). Der
sachgemäße und verantwortungsbewusste Umgang
mit dem Gasbrenner ist eine wichtige fachpraktische Kompetenz im Chemie-Anfangsunterricht.
Der Beitrag zeigt auf, wie die Einführung in einen handlungsorientierten
Unterricht unter Berücksichtigung von neuen Formen der Leistungsbewertung
erfolgen kann.
Inhalt 1. Einleitung: Mindestkompetenzen und Lernerfolg 2. Feststellung von Mindestkompetenz 3. Der Umgang mit dem Gasbrenner als zentrale Mindestkompetenz 4. Die Brennerprüfung 4.1. Durchführung 4.2. Erste Erfahrungen 5. Literatur 6. Anschriften 1. Einleitung: Mindestkompetenzen und Lernerfolg Viele Schülerinnen und Schüler
zeigen im Anfangsunterricht Chemie großes Interesse an der selbständigen
Durchführung von Experimenten. Dabei setzt die Durchführung von
bestimmten Experimenten Grundfertigkeiten voraus, ohne welche die Teilnahme
der Schülerinnen und Schüler an den Experimenten einerseits hinsichtlich
des Lernverlaufes nicht sinnvoll, andererseits hinsichtlich der Sicherheit
der Schülerinnen und Schüler nicht verantwortbar ist. Mit Blick
auf das erstgenannte Argument der Lernbedeutsamkeit verwendet Sacher (1994)
für diese Grundfertigkeiten den Begriff der Mindestkompetenz. Er bezeichnet
als Mindestkompetenz „das, was der Schüler mindestens können
muss, um auf dem jeweiligen Gebiet erfolgreich weiterzulernen.“ (Sacher,
1994, S. 88). Mit dieser Definition impliziert Sacher auch eine prognostische
Aussage über den zu erwartenden Lernerfolg eines Schülers: Für
Schülerinnen und Schüler, welche die erforderliche Mindestkompetenz
in einem bestimmten Bereich aufweisen, wird für die Zukunft eine positive
Entwicklung der Lernleistungen vorhergesagt (vgl. Sacher, ebd.). Wenn auch
die Argumentation von Sacher auf den ersten Blick etwas weit greift, so
kann doch ihrem Umkehrschluss sicherlich zugestimmt werden: Für Schülerinnen
und Schüler, welche über die Mindestkompetenz nicht verfügen,
sind keine ausreichenden Lernerfolge als Ergebnis experimentellen Arbeitens
im Chemieunterricht zu erwarten.
2. Feststellung von Mindestkompetenz Die Lehrerin oder der Lehrer steht im
Anfangsunterricht Chemie vor dem Problem, vor Beginn einer experimentellen
Unterrichtseinheit sicherstellen zu müssen, dass alle Schülerinnen
und Schüler die für das Experimentieren notwendigen Grundfertigkeiten
beherrschen. Andernfalls bestehen auf der einen Seite nicht abschätzbare
Sicherheitsrisiken, auf der anderen Seite können Schülerinnen
und Schüler gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße von den
Erkenntnissen aus der experimentellen Phase profitieren. Aus unterrichtsorganisatorischer
Sicht stellt sich zudem folgendes Problem: Da in der Stundentafel häufig
nur Einzelstunden zum Experimentieren zur Verfügung stehen, ist es
sinnvoll, dass bestimmte Grundfertigkeiten (zu denen die Handhabung des
Gasbrenners zählt) ohne ständige zeitlich aufwendige Wiederholungen
von jedem Lernenden sicher beherrscht werden. Wie soll nun die Feststellung
der Mindestkompetenz erfolgen? Ein Blick in die derzeit gültigen Richtlinien
und Lehrplänen Chemie für die Realschule in NRW hilft hierbei
nicht weiter (Kultusministerium des Landes NRW, 1993).
Wir schlagen zur Lösung dieses Problems
ein Prüfverfahren zur Feststellung von Grundfertigkeiten vor,
das sich an sachlichen Bezugsnormen orientiert. Unser Prüfverfahren
stellt die Schülerleistung nicht im Vergleich zu anderen Personen,
etwa der Klasse (soziale Bezugsnorm), oder im Vergleich zu dem, was der
Schüler zu früheren Zeitpunkten geleistet hat (individuelle Bezugsnorm)
fest. Vielmehr handelt es sich um ein Verfahren, durch welches das Erreichen
oder Verfehlen eines konkreten Kriteriums ermittelt werden soll (sachliche
bzw. synonym kriteriale Bezugsnorm). Dieses kriteriumsorientierte Prüfverfahren
erfordert dabei einerseits die exakte Definition des Lernziels, andererseits
bindet es die Leistungsbewertung (also etwa die Feststellung, ob ein Schüler
die Prüfung bestanden hat oder nicht) direkt an die erbrachte Leistung.
In der vorliegenden Arbeit soll ein Verfahren zur Feststellung von Grundfertigkeiten
im Umgang mit dem Gasbrenner vorgestellt werden. Der hier vorgeschlagenen
Brennerprüfung liegen exakt definierbare und sachlich begründbare
Anforderungen zugrunde, die es ermöglichen, die Leistungen des Schülers/der
Schülerin unabhängig von der Leistung der Gruppe (etwa der Klasse)
zu ermitteln.
3. Umgang mit dem Gasbrenner als zentrale Mindestkompetenz Der Gasbrenner ist von zentraler Bedeutung
für die Durchführung der meisten Experimente. Aus diesem Grund
wird er im Anfangsunterricht i.d.R. sehr früh eingeführt. Die
Fertigkeit, den Gasbrenner fehlerfrei bedienen und sich über ihn verständigen
zu können, gehört zu den oben erwähnten Grundfertigkeiten.
Beim Einsatz des Gasbrenners im Rahmen von Schülerexperimenten muss
demnach sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler
vor der Aufnahme von Experimenten in der Lage sind, den Gasbrenner zu bedienen
und dessen Bedienung zu verstehen.Wie sehen nun Aufgaben aus, durch welche
diese zentrale Mindestkompetenz erfasst werden könnte? Es liegt nahe,
die zu entwickelnden Aufgaben (Prüfung) den zu überprüfenden
Kriterien (Beherrschen des Gasbrenners) analog zu gestalten. Das bedeutet
in unserem Fall, dass die Prüfungsaufgaben handlungsorientiert sein
müssen, was eine Abfrage in Form eines Papier-Bleistift-Tests nicht
leisten kann. Die Aufgaben sollen einen Minimalkatalog an Kompetenz im
Umgang mit dem Gasbrenner repräsentieren. Überprüft werden
soll die Fertigkeit eines Schülers bzw. einer Schülerin, den
Gasbrenner fachgerecht in und außer Betrieb zu setzen.
Über diese Handlungsorientierung
hinaus ist von dem Testverfahren zu fordern, dass es das Beherrschen von
wenigen Schlüsselwörtern im Umgang mit dem Gasbrenner überprüft.
Auf diese Weise soll ein Mindestmaß an Kommunikationsfertigkeit für
spätere Unterrichtsanweisungen durch die Lehrperson sichergestellt
werden.Im einzelnen wird von den Schülerinnen
und Schülern daher das erfolgreiche Absolvieren der folgenden zwei
Testsequenzen verlangt:
Sequenz I. Inbetriebsetzung des Brenners a. Schutzbrille aufsetzen b. Gashahn öffnen c. Feuerzeugflamme an das Brennerrohr halten d. Gasregulierung öffnen e. Begriff „leuchtende Brennerflamme“ nennen f. Luftregulierung leicht öffnen g. Begriff „entleuchtete Brennerflamme“ nennen h. Luftregulierung ganz öffnen i. Begriff „rauschende Brennerflamme“ nennen Sequenz II. Außerbetriebsetzung des Brenners a. Luftregulierung leicht schließen b. Begriff „entleuchtete Brennerflamme“ nennen c. Luftregulierung ganz schließen d. Begriff „leuchtende Brennerflamme“ nennen e. Gasregulierung schließen f. Gashahn schließen g. Schutzbrille abnehmen
Bei der hier vorgeschlagenen Prüfungssequenz überprüfen die Aufgaben I.e.,g. und i. sowie II.b. und d. das Beherrschen der zur Unterrichtskommunikation notwendigen Grundbegriffe. Die Verwendung der Begriffe zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Flammenarten ist in den gängigen Chemie-Lehrbüchern nicht einheitlich (z.B. Frühauf & Tegen, 1993; Geiger, Haupt, Kloppert & Kunze, 1988). Wir schlagen hier in Übereinstimmung mit Thomas, Quante und Hefele (1983) die Begriffe leuchtende, entleuchtete sowie rauschende Brennerflamme vor. Diese Begriffe orientieren sich sehr stark an der sinnlichen Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler. Insofern ist davon auszugehen, dass die Begriffe einfach erlern- und abrufbar sind. Sie stellen deshalb schon früh die kommunikative Grundlage für die Untersuchung der Eigenschaften der drei Flammenarten in Form des Schülerexperimentes zur Verfügung. Die Benennung von einzelnen Teilen des
Brenners (etwa Brennerrohr, Gasdüse etc.) wird hier nicht verlangt,
da diese Begriffe nicht zur Mindestkompetenz im oben geschilderten Sinne
gehören. Die übrigen Teile der Prüfungssequenzen überprüfen,
ob der Schüler oder die Schülerin in der Lage ist, den Brenner
sachgerecht zu bedienen.
Die Prüfungssequenzen erfassen —
wie argumentiert — die Mindestkompetenz eines Schülers bzw.
einer Schülerin im Umgang mit dem und die Verständigung über
den Brenner. Der von uns aufgestellte Minimalkatalog rechtfertigt, erst
bei Beherrschung aller Prüfungsteile von einem Bestehen — d.h. von
Vorliegen der notwendigen Mindestkompetenz — auszugehen.
Für eine Schülerin beispielsweise,
die alle Prüfungsteile bis auf I.a. (Aufsetzen der Schutzbrille) beherrscht,
kann eine Teilnahme am weiteren Experimentalunterricht nicht verantwortet
werden. Ein Schüler, der zwar das In- und Außerbetriebsetzen
des Brenners beherrscht, eine der Flammenarten jedoch nicht benennen kann,
wird in nachfolgenden Experimentalsituationen mit großer Wahrscheinlichkeit
Anweisungen der Lehrerin/des Lehrers, mit einer bestimmten Flammenart zu
arbeiten, nicht umsetzen können. Weil wir die Prüfungssequenz
so ausgewählt haben, dass sie all das repräsentiert, was Schülerinnen
und Schüler für erfolgreiches Arbeiten mit dem Brenner mindestens
können müssen, erscheint es uns insofern angebracht, nur bei
erfolgreichem Absolvieren aller Prüfungsteile davon auszugehen, dass
die notwendige Mindestkompetenz vorliegt.
4. Die Brennerprüfung 4.1. Durchführung Die Brennerprüfung steht im Zentrum
einer dreistündigen Unterrichtseinheit. Gegenstand der ersten Stunde
ist die Benennung und Funktionsweise der einzelnen Bauteile des Brenners
am Realobjekt. Dann erfolgt durch die Lehrperson eine Demonstration, in
welcher die Schülerinnen und Schüler zunächst die Möglichkeiten
haben, den sach- und fachgerechten Umgang mit dem Brenner zu beobachten
(Modellernen). Diese Demonstration umfasst alle Elemente der späteren
Prüfungssequenz. Die Brennerprüfung und die Bedingungen für
ihr Bestehen werden an dieser Stelle bereits angekündigt. In der Hausaufgabe
sollen die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe des Schulbuches
einen Gasbrenner zeichnen und die einzelnen Bauteile richtig beschriften.
Während der zweiten Unterrichtsstunde
haben die Schülerinnen und Schülern in Gruppen ausreichend Zeit
für das Einüben des sachgerechten Umgangs mit dem Gasbrenner.
Fragen können gestellt und beantwortet, praktische Hilfestellung kann
durch Gruppenmitglieder bzw. den Lehrer/die Lehrerin geleistet werden.
Die dritte Stunde beginnt mit einem kurzen Lehrervortrag, in dem nochmals
die notwendigen Bedingungen zur Durchführung und zum Bestehen der
Brennerprüfung genannt werden. Danach steht Zeit zur Verfügung,
die Prüfungssequenzen einzuüben und anschließend die Brennerprüfung
abzulegen. Nach bestandener Prüfung durch alle Mitglieder einer Gruppe
schließt sich die Untersuchung von Eigenschaften der unterschiedlichen
Flammenarten im Schülerexperiment an (vgl. Punkt 5.).
Für die Durchführung der Brennerprüfung sind folgende organisatorische Rahmenbedingungen zu beachten: 1. Jede Gruppe soll sich per Handzeichen erst dann zur Brennerprüfung anmelden, wenn alle Mitglieder glauben, die notwendigen Fertigkeiten zu beherrschen. 2. Die Prüfung gilt als bestanden, wenn die oben genannten Anforderungen vollständig erfüllt sind. Auf einem Prüfungsbogen dokumentiert die Lehrperson das Bestehen bzw. Nichtbestehen der einzelnen Prüfungsteile (vgl. Kopiervorlage in der Originalveröffentlichung). 3. Besteht ein Mitglied der Gruppe die Prüfung nicht, wird die Prüfung der gesamten Gruppe abgebrochen. Nach einer erneuten Übungsphase, während der sich die Schüler/-innen gegenseitig bei der Vorbereitung auf einen erneuten Prüfungsdurchgang unterstützen, kann eine weitere Anmeldung erfolgen. 4. Die Prüfung kann einmal wiederholt werden. Bei Nichtbestehen wird von der Lehrperson eine Nachschulung in der unterrichtsfreien Zeit angeboten (z.B. nach der 6. Stunde). 5. Gruppen, deren Mitglieder die Prüfung bestanden haben, sind zur ersten selbständigen Untersuchung berechtigt (Temperaturuntersuchung der jeweiligen Flammenart mit Hilfe von Magnesiastäbchen). 6. Das Bestehen der Brennerprüfung wird durch einen Stempelaufdruck unter Ergänzung des Prüfungsdatums und der Unterschrift des Prüfers im Brennerpass des Schülers bzw. der Schülerin dokumentiert (vgl. Kopiervorlage in der Originalveröffentlichung). 7. Es wird erst dann mit Schülerexperimenten im Klassenverband fortgefahren, wenn alle Schüler/-innen die Brennerprüfung bestanden haben. 4.2. Erste Erfahrungen Beim Einsatz der Brennerprüfung in
vier Klassen der Jahrgangsstufen 7 von zwei unterschiedlichen Realschulen
in Nordrhein-Westfalen konnten wir folgende Beobachtungen machen:
5. Literatur
6. Anschriften der Autoren Andreas Dickhäuser Realschule im Gustav-Heinemann-Schulzentrum Fachschaft Chemie Kirchstraße 50 46539 DINSLAKEN Dr. Dipl.-Psych. Oliver Dickhäuser Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich 06 - Pädagogische Psychologie - Otto-Behaghel-Straße 10f 35394 GIESSEN |