Interview mit Dr. Hermann Fischer | |||
Die Exkursion
zur Firma AURO fand am 3. August 1998 statt. Ein besonderer Dank geht
an Herrn Haverkamp, der uns eine zweistündige Firmenführung bot
und für viele wirtschaftliche und produktionstechnische Fragen zur
Verfügung stand. Herr Nolle sei gedankt für die Zusendung und die Genehmigung zur Nutzung von
firmeneigenen Fotos.
Hermann Fischer (geb. 1953) nahm sich etwa zwei Stunden für das Interview
Zeit, welches einen guten Überblick über seine Person und die
Kernthesen der Sanften Chemie bietet. Auch ihm
danken wir herzlich. Der folgende Text beinhaltet die wichtigsten Passagen des
Interviews. Teil 1: Persönlicher Werdegang von Hermann Fischer Teil 2: Firmengründung (Livos und Auro) Teil 3: Unternehmensphilosophie Teil 4: Plädoyer für eine nachhaltige Entwicklung
Sonja Schlabach: "Wie sind sie denn überhaupt auf die Sanfte Chemie gekommen? Gab es da persönliche Erlebnisse, die sie erlebt haben?" Hermann Fischer: "Persönliche Erlebnisse nicht direkt, ich denke aber, es war im Kern, so etwas wie ein Grundbedürfnis der Vereinigung der zwei Wurzeln der Chemie: Die eine Seite, die ich so gut wie möglich versucht habe zu machen, erlebte ich im Studium. Es war nicht etwa so, dass es mich gelangweilt hätte oder abgestoßen, ich bin wirklich gerne Naturwissenschaftler, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass die Art von Naturwissenschaft wie sie heute an den Hochschulen gelehrt wird nur die eine Hälfte der Medaille ist." Thomas Seilnacht: "Also sie meinen, die systematische Chemie mit Formeln, Molekülbau und Reaktionsmechanismen sei die eine Seite der Chemie?" Hermann Fischer: "Genau, also das, was man allgemein als reduktionistische Naturwissenschaft bezeichnet. Und ich habe versucht, da immer einen Ausgleich zu schaffen. Ich bin deswegen sehr früh auch mit der Umweltbewegung in Kontakt gekommen, schon anfang der Siebziger Jahre. Ich habe parallel zu meinem Studium Volkshochschulkurse zum Thema Umwelt gehalten und habe im Schuldienst mein Studium verdient, in dem ich im Gymnasium Chemie und Physik unterrichtete. All das nicht nur um das Studium zu finanzieren, sondern immer wieder, um diese andere Seite im Blick zu behalten. Oder es war vielleicht auch ein sehr reges Interesse an allen kulturhistorischen Entwicklungen und insbesondere an den Entwicklungen der Chemiegeschichte. Das werden sie ja auch aus meinem Buch, das sie vorhin mit mir in der Hand hatten, auch gesehen haben, dass ich die Idee der Sanften Chemie ja eigentlich fast kulturhistorisch oder chemiehistorisch entwickle. Ich leite sie daher ab, dass eine bestimmte Aggressionstendenz im Menschen dazu führt, dass er eine Naturwissenschaft kreiert hat, die so gewaltsam geworden ist, sowohl in den Methoden als auch in ihren Auswirkungen. Das ist ja eines dieser Konzepte die durchaus diskutierbar sind. Aber ich meine, dass wenn man sich den Stoffen gegenüber hochmütig und aggressiv verhält, dass dann so etwas wie eine immanente Aggressivität auch in den Stoffen bleibt. Wenn ich mit Chlorgas auf Organika, auf organische Moleküle losgehe, dann ist das ein aggressives Verhalten, oder im chemischen Sinne ist das ein hoher Energie-Input, aber es bleibt in der Signatur dieser Stoffe auch erhalten. Meine persönliches Interesse ging bis dahin, dass ich mich intensiv mit der Geschichte der zeitgenössischen Chemie beschäftigt habe, das heißt also mit den Zusammenhängen zwischen Faschismus, Entwicklung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Giftgaseinsatz in den Konzentrationslagern, usw. Ich versuche, diese Zusammenhänge immer wieder aufzuzeigen und habe das auch seit ungefähr zwanzig Jahren in der Universität als Vorlesung zur Chemiegeschichte versucht, immer wieder den Studentinnen und Studenten nahezubringen, wo übrigens auch ziemlich viele Lehramtsstudenten und -studentinnen der Chemie dabei waren. Einerseits hatte ich Themen wie diese Wurzel unserer Wissenschaft in der antiken Philosophie und Kunst, aber andererseits auch die Chemie der Nazizeit. Das war zeitweilig Anfang der Achtziger Jahre bis zum Ende der Achtziger Jahre etwas unheimlich Gefragtes." Thomas Seilnacht: "Ich würde gerne noch einmal nachhaken: Gibt es aus ihrer Jugendzeit oder auch aus dem Studium etwas Besonderes, was sie entscheidend geprägt hat?" Hermann Fischer: "Ja, eigentlich nichts jedenfalls, was mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu jenem kritischen Hinterfragen geführt hätte. Ich habe mir schon als Jugendlicher ein Chemielabor im Elternhaus eingerichtet. Ich denke, das ist keine untypische Karriere." Thomas Seilnacht: "Was hat dann den entscheidenden Kick gegeben, dass sie ihre Richtung eingeschlagen haben?" Hermann Fischer: "Ja, einfach das vollständige Einbeziehen dieser philosophischen Seite der Chemie - ich meine, das ist etwas gewesen, was ich schon als Schüler hatte, aber nicht zusammengebracht habe mit der Naturwissenschaft, ich habe mich als Schüler für Naturwissenschaft interessiert und habe mich gleichzeitig für Literatur interessiert. Thomas Seilnacht: "Und dann ist ja auch irgendwann die Firma AURO entstanden. Ich weiß, dass es kein Familienbetrieb gab, sondern dass sie von ihnen gegründet wurde. Können sie die Entstehungsgeschichte kurz schildern?" Hermann Fischer: "Dazu muss ich etwas ausholen, das ist ja nicht mein erster Betrieb, den ich gegründet habe. Ich habe schon 1974 einen ersten Betrieb so aus dieser, sagen wir mehr sozialen und pädagogischen als ökologischen Bewegung der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre heraus gegründet. Es war im Grunde genommen in Zusammenarbeit mit sehr vielen Menschen. Unsere Firma hatte anfangs so etwa 25 Inhaber, und das war eigentlich der Startpunkt für mich selber, diese Idee im Unternehmerischen umzusetzen. Bloß dieses erste Unternehmen ist dann in das Schicksal hineingelaufen, das viele Unternehmen, die damals gegründet worden sind, ereilt hat, nämlich, dass es dann nachher in den gruppendynamischen Prozess hineinkam. Das Problem war, dass es eine Vielzahl von zentrifugalen Kräften gab, die in alle Herren Länder zerstreut wurden. Dieses Projekt, was eben ein soziales Projekt war, das ist von Anfang an gescheitert." Thomas Seilnacht: "Wie hieß diese Firma damals?" Hermann Fischer: "Das war Livos." Thomas Seilnacht: "Die gibt es ja heute noch!" Hermann Fischer: "Ja, von den 25 ist heute nur noch einer bei Livos." Thomas Seilnacht: "Haben sie das direkt nach dem Studium gemacht?" Hermann Fischer: "Im Studium. Wenn ich mich recht entsinne, noch vor meinem Vordiplom." Thomas Seilnacht: "Sie sagten vorher, sie unterrichteten an der Schule, war das danach?" Hermann Fischer: "Nein, das war auch gleichzeitig, fragen sie nicht, wie ich das gemacht habe!" Thomas Seilnacht: Und speziell AURO?" Hermann Fischer: "Es war dann so, dass wir, meine Frau und unsere zwei kleinen Kinder, diese Lebensgemeinschaft dann verlassen haben. Ich muss sagen, dass eigentlich für mich so etwas wie eine wissenschaftliche Laufbahn an der Hochschule in Frage kam, ich hätte durchaus habilitieren können, aber die Leute aus dem Markt unserer Produkte, unsere Käufer, kamen in größerer Zahl zu mir und sagten: 'Du hast das jetzt gemacht und jetzt kannst du nicht einfach weggehen!' Dann habe ich einfach die Firma gegründet. Das Problem daran war, dass ich keine müde Mark hatte." Thomas Seilnacht: "Wann war das genau?" Hermann Fischer: "Das war 1983. Der Geldmangel war ein entscheidendes Problem. Das war so ein bisschen wie bei Münchhausen - am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Ich bekam eine Bürgschaft von einem Freund, aber das war ja kein Geld, das war nur eine Bürgschaft, er hat nur den Kopf für eine Zeit lang hingehalten. Dann beschaffte eine Bank einen Existenzgründungskredit und zusammen mit der Bürgschaft kam ich zu 'Eigenkapital', obwohl ich ja eigentlich keine müde Mark hatte. Dadurch erhielt ich Betriebsmittelkredite, die wiederum über die entsprechenden Maschinen abgesichert waren. Wir hatten anfangs nur einen Teil dieses Geländes, was sie hier heute sehen, zur Miete. Es war ein hohes Risiko, wenn es schief gegangen wäre, hätte ich mein Leben lang abgezahlt." Sonja Schlabach: "Mit wieviel Mitarbeiter haben sie angefangen?" Hermann Fischer: "Mit drei, heute sind es 43." Sonja Schlabach: "Wieviel Tonnen Material vertreiben sie heute?" Hermann Fischer: "Ich schätze mal so fünf bis zehn Tonnen pro Tag. - Wir sind übrigens am 18. Januar 1998 Aktiengesellschaft geworden, die jetzt in den nächsten Tagen im Handelsregister eingetragen wird. Wir planen, den vielen Menschen, die in den letzten Jahren immer wieder zu uns gekommen sind, ein Forum zu bieten, weil die GmbH, die es bis jetzt gab, dafür schlecht geeignet ist. Thomas Seilnacht: "Uns würde aus der Unternehmensphilosophie noch einiges interessieren. Können Sie unseren Lesern die Grundprinzipien der Sanften Chemie und die Unternehmensgrundsätze nochmals kurz erläutern?" Hermann Fischer: "Ich denke eines der Grundprinzipien der Sanften Chemie, von denen ich ausgehe, ist so etwas wie Respekt. Das klingt jetzt so wie eine konservative Moralphilosophie, es ist aber eigentlich genau das Gegenteil. Was dahinter steht ist, dass ich eine Hochachtung vor den Prinzipien, nach denen in der Natur, insbesondere in der belebten Natur, Stoffe gebildet werden. Und ich weiß, dass ein großer Antrieb in der sogenannten "Harten Chemie", also der klassischen Chemie, wie wir sie in diesem Jahrhundert hauptsächlich erlebt haben, daher kam, genau das Gegenteil zu tun, nämlich eigentlich so etwas wie eine Geringschätzung dieser "gewordenen" Stoffe und ein hochmütiges Sich-Hinwegsetzen von diesen Prinzipien, also sehr verkürzt und plakativ nach dem Motto: "Das können wir besser". Mich hat immer die Intelligenz dieser Stoffbildungsprinzipien, wie sie in der Natur vorhanden ist, fasziniert." Sonja Schlabach: "Können sie ein Beispiel machen?" Hermann Fischer: Es existiert in der Natur eine absolut ganzheitliche Intelligenz und nicht nur eine biologische Intelligenz, das bedeutet, dass nichts in der Natur in einer Pflanze aufgebaut wird, für das nicht gleichzeitig - nicht danach, sondern parallel - das Abbauprinzip von beispielsweise einer Enzymreaktion in einem Organismus vorhanden ist. Es wird nichts aufgebaut, von das nicht vorher der Entsorgungspfad geklärt ist. Das klingt jetzt sehr teleologisch. Der evolutionäre Entwicklungsprozess, der dazu führt, also die Mechanik des Ganzen, ist für mich zweitrangig. Der Effekt, dass das funktioniert hat, dass sich das bewährt hat, das finde ich so faszinierend. Das ist die eine Form der Intelligenz, aber es ist ja auch eine andere Form von Intelligenz vorhanden: Es sind alles Stoffe, die in der Natur entstehen, mit einer hohen ästhetischen Faszination. Entweder ganz auf der makroskopischen Ebene - wenn sie eine Wiese sehen und da geht der Wind darüber, diese Wellenbewegung, die da entsteht, das hat eine hohe Ästhetik - aber auch wenn sie auf der Mikroebene eine Grasähre angucken und die ganz genau mikroskopisch ansehen, dann sehen sie eine hohe Ordnung oder Struktur. Es ist dort keine mechanische Ordnung, sondern so etwas wie eine künstlerische Ordnung. Das sind diese Prinzipien, von denen ich ausgegangen bin, die immer wieder zu diesem Respekt, zu dieser Hochachtung, zu dieser Faszination, zu dieser Liebe diesen Naturprozessen gegenüber geführt hat. Ich denke, die "Verliebtheit" in diese Prozesse ist der Schlüssel. Sie wissen ja, wenn man in eine Person verliebt ist, erst dann ist man in der Lage, die ganze Vielfalt der Vorzüge - die man manchmal auch überbetont - in dieser Person zu erkennen. Und ich glaube, den Chemikern dieses Jahrhunderts hat häufig die Liebe zu diesen Naturprozessen gefehlt, und das hat ihnen früher den Weg zur Erkenntnis versperrt, dass man unglaublich viel von diesen Naturprozessen lernen kann. Die Stufen sind: Respekt, Liebe, Demut. Demut heißt für mich, ich vergleiche meine Möglichkeiten, meine Fähigkeiten, die Dinge zu überblicken, mit den Fähigkeiten die durch die Evolution in den Naturprozessen enthalten sind und das kann zu einer Art Demut führen, weil das ein unglaubliches Größenverhältnis ist. Es soll aber nicht nur bei einer passiven Demutshaltung bleiben, die nächste Stufe ist, dass aus dieser Demutsstufe eine Schülerschaft entsteht, in der man die Natur als eine Art Lehrmeisterin anerkennt. Sie sehen, ich rede da von lauter Begriffen, die in anderen naturwissenschaftlichen Konzepten nicht vorkommen. Thomas Seilnacht: "Was meinen sie, lassen sich ihre Gedanken verwirklichen, wenn man die Chemie und die anderen Konzeptionen insgesamt sieht?" Hermann Fischer: "Nicht im Sinne einer Eins-zu-eins-Konversion, nicht in dem Sinne, dass wir all das, was wir heute auf der Basis synthetischer, harter Chemie tun, dass wir das morgen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe machen. Sonja Schlabach: "Also, wir müssen dann Kompromisse schließen?" Hermann Fischer: "Nein, das hat etwas mit einer Revolution zu tun, mit einer Revolution im Denken, einer Revolution in den Konsummustern einer Revolution in der Art, wie wir Stoffe gebrauchen, einer Revolution in unserer Haltung gegenüber den Stoffen und den Stoffströmen - und all diese Revolutionen die da dazugehören. Man könnte angesichts der Tatsache, dass der chemische Mainstream noch so mächtig ist, resignieren. Ich glaube aber nicht an Resignation, ich glaube an die fermentative Wirkung von Ideen. Ein klein bisschen Sauerteig reicht aus, um eine riesige Menge von Mehl und Wasser wieder zu einem reinen, vollständigen Sauerteig zu machen. Und ich sehe in den vergangen Jahren, dass viele der Ideen, für die viele meiner Mitstreiter und ich selbst noch vor zwanzig Jahren verhöhnt wurden, dass diese Ideen in der Zwischenzeit Bestandteil von groß angelegten Konzeptionen sind. Thomas Seilnacht: "Ich stelle auch seit einiger Zeit fest, dass es in der sogenannten "Harten Chemie" Arbeitsgruppen zum Thema nachwachsende Rohstoffe gibt. Was halten sie davon?" Hermann Fischer: Ich sehe auch in diesem Phänomen zwei Seiten: Fangen wir mal mit der negativen an, damit wir die dann schnell vergessen können. Natürlich ist das ein bisschen Showeffekt oder ein Stückchen Imagepflege der großen Chemiefirmen. Aber das magische Geheimnis dessen ist, dass selbst jemand, der sich nur aus Public Relation und Imagegründen mit diesem Thema beschäftigt, diesem fermentativen Fortpflanzungsprinzip erliegt. Das heißt also, dass diejenigen Leute, die für diese Art von Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt sind, diese Art von Faszination gewinnen, vielleicht diese Art von Liebe - weit entfernt sind sie noch von dieser Art von Demut - aber immerhin: Aus einer Bewegung, die ursprünglich vielleicht nur Public Relation war, entsteht etwas Echtes im Kern. Einige sind etwas schneller wie Henkel, andere etwas langsamer, aber alle sind gezwungen, sich in dieser Richtung zu bewegen. Insbesondere seit sie sich alle verpflichtet haben, auf die Prinzipien der Agenda 21, also auf nachhaltige Entwicklung zu bekennen. Zu Sanfter Chemie hätten sie sich nie bekannt, weil das ein "verbranntes" Wort ist." Thomas Seilnacht: "Ich glaube, der Begriff stammt ja auch von ihnen, oder?" Hermann Fischer: "Ja. Da gibt es jetzt eine Reihe von Begriffen. Die Amerikaner versuchen so etwas wie eine "green chemistry" zu lancieren, meinen damit aber eher nur eine "pollution reduction chemistry", also die alten Prinzipien beibehalten und weniger aus den Schornsteinen herauslassen. Das ist es ja nicht, was ich mir vorgenommen habe. Insgesamt aber muss ich sagen, dass mich diese Entwicklung, die in der Chemieindustrie eingesetzt hat, doch hoffnungsvoll stimmt. Sie braucht aber weiterhin kritische Begleitung. Man muss verhindern, dass die guten Begriffe wir "Nachhaltigkeit" als Reinwasch- und Weichspülbegriffe die Chemieindustrie davon abhalten, die eigentliche Umsetzung auf der stofflichen Ebene zu realisieren." *** Ende des Interviews ***
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