These
1: Analyse der gesamten Produktbiographien
Die Erkenntnis der Notwendigkeit
einer Sanften Chemie ergibt sich aus der kritischen Untersuchung der real
existierenden Chemie in ihrer Theorie, Forschung, Produktentwicklung und
technologischen Praxis im Hinblick auf deren pädagogische, philosophische,
ästhetische, toxikologische, ökologische, ökonomische und
soziale Grundlagen und lokale wie globale Auswirkungen.
Dabei werden die verwendeten
Verfahrenstechniken, Umwandlungsprozesse, Energie- und Stoffströme
(prozessualer Aspekt) mindestens gleichrangig bewertet wie die eingesetzten
und resultierenden Substanzen (stofflicher Aspekt). Sanfte Chemie entsteht
folglich nicht allein aus einer angestrebten Alternative zu den real existierenden
Chemikalien und Produkten mit deren toxikologischen und ökotoxikologischen
Zahlenwerten (MAK, ADI, LD50, LC50, WGK etc.), sondern noch mehr aus einer
ganzheitlichen Sichtweise der gesamten Biografie, den Prozessketten und
Produktlinien der betreffenden Produkte. Dieser prozessuale Aspekt setzt
bei den primären Rohstoffen an, betrachtet alle Zwischenschritte der
Produktion, das Produkt selbst - und zwar vor, während und nach dem
Gebrauch - sowie die Schritte bis zur Entstehung der letzten Zersetzungsprodukte
und deren Verbleib in der Umwelt.
These
2: Stoffbildungsprozesse der Natur als Vorbild
Sanfte Chemie ist die
Chemie auf der Grundlage der Stoffbildungsprozesse der Natur. Sie nutzt
die Syntheseprinzipien, die sich im Verlauf der Evolution als langfristig
bewährt entwickelt und durchgesetzt haben. Sie geht von der Überzeugung
aus, dass die Herausbildung dieser Prinzipien - vor allem der Photosynthese
- im evolutionären Wettbewerb die beste Garantie dafür darstellt,
dass auf dieser Grundlage auch auf lange Sicht der stoffliche Bedarf der
Menschheit und ihrer pflanzlichen und tierischen Mitwelt ohne Beeinträchtigungen
von Umwelt und Gesundheit gedeckt werden kann.
These
3: Nutzung von Vielfalt und Komplexität
Sanfte Chemie geht von
der Überzeugung aus, dass die enorme, noch nicht einmal voll übersehbare
Vielfalt der aus Naturprozessen entstandenen Stoffe sowie die beeindruckende
stoffliche Komplexität vieler dieser Naturstoffe bei intensiver Anwendungsforschung
vielleicht nicht alle, aber doch alle wesentlichen stofflichen und auch
viele energetische Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens ohne einschneidende
Einschränkungen an Lebensqualität zu befriedigen vermag. Eine
solche Anwendungsforschung ist leider mit dem Aufkommen der organisch-chemischen
Synthese Mitte des vergangenen Jahrhunderts weitgehend abgebrochen worden
und sollte durch den neuen Impuls für eine Sanfte Chemie einen Neuanstoß
erfahren.
These
4: Die Gewalt gegen die Stoffe wirkt auf uns zurück
Die Grundkonzeption einer
Sanften Chemie orientiert sich an der These, dass die gewaltsamen Einwirkungen,
die bei den Produktionsstrategien der Harten Chemie den gewählten
Ausgangsstoffen zwangsweise auferlegt werden, nicht ohne Wirkung in den
Stoffen selbst bleiben. Je gewaltsamer diese Erzwingung bestimmter Reaktionsabläufe
erfolgt, um so größer ist das Risiko, dass die so erzeugten
Stoffe die ihnen auferlegte Gewalt weiter in sich tragen und - im Sinne
einer reziproken Wirkungsbeziehung - auf die Lebenswelt über kurz
oder lang gewaltsam zurückwirken. Viele negative Phänomene im
Zusammenhang mit der zunehmenden Chemisierung unserer Welt können
mit einer solchen Arbeitshypothese eher verstanden und neu bewertet werden.
Damit wird deutlich, dass das Konzept der „Gewaltsamkeit“ und ihres Zurückwirkens
im Sinn eines heuristischen Prinzips nicht als eine metaphysische, in den
Stoffen nicht verifizierbare Qualität zu verstehen ist. Die damit
verbundenen Überlegungen, die eine Zurückhaltung und Behutsamkeit
im menschlichen Handeln nicht nur gegenüber der Mitmenschheit, der
Tier- und Pflanzenwelt fordert, sondern auch gegenüber der unbelebten
Welt der chemischen Stoffe, gehört dennoch zu den Ideen, die von den
in heutiger naturwissenschaftlicher Denkweise geprägten Fachleuten
am schwierigsten nachzuvollziehen sein werden. Und doch ist die Begründung
der Sanften Chemie ohne eine neu zu gewinnende Ethik auch gegenüber
dem Umgang mit der unbelebten Welt unvollständig.
These
5: Eingriff in Naturstrukturen vermeiden
Im Hinblick auf die eingespielte
und erprobte Perfektion, mit welcher Aufbau komplexer Strukturen in der
Natur vor sich geht, will sich die Praxis der Sanften Chemie nach Möglichkeit
jedes tiefwirkenden Eingriffs in die so gebildeten stofflichen Strukturen
enthalten; sie geht von der Überzeugung aus, dass ein solcher Eingriff
in die molekulare Integrität je nach Art und Umfang allein aufgrund
des Energieaufwandes, möglicher Nebenreaktionen, vermehrter Abfallbildung
usw. die durch die ursprüngliche Natursynthese gegebenen ökologischen
Vorteile zu einem erheblichen Teil wieder aufheben wird. Ziel der Sanften
Chemie sollte daher allenfalls eine vorsichtige Abwandlung der gegebenen
Molekülstrukturen mit einem Minimum an Anlagen- und Energieaufwand
sein. Die Vielfalt und Reichhaltigkeit der Substanzen aus den natürlichen
Produktionsprozessen legt statt einer starken Abwandlung vielmehr die Suche
nach anderen natürlichen, für den Einsatzzweck besser passenden
Naturstoffen nahe.
These
6: Die Nutzung der Sonnenenergie als optimale Quelle
Das Konzept der Sanften
Chemie orientiert sich an den Naturprozessen auch deshalb, weil diese als
wesentliche Energiequelle eine Quelle außerhalb des eigenen globalen
Systems nutzt: Sonnenenergie. Im Vergleich zu den chemischen Prozessen
in den Industrieretorten kommt damit die zur Strukturbildung notwendige
Energie nicht aus Quellen, die durch die Erzeugung der Energie und die
damit unweigerlich verbundene enorme Vermehrung von Entropie (strukturelle
Unordnung) wieder selbst in erheblicher Weise zur Umweltbeeinträchtigung
und Klimaveränderung beitragen.
These
7: Nutzung einer Pflanzen-Chemie ohne Störfälle
Die Idee einer Sanften
Chemie wird getragen von der jedem bekannten und einleuchtenden Tatsache,
dass es im Zusammenhang mit dem Stoffaufbau durch Naturprozesse keinesfalls
zu den Störfällen kommen kann, die in den großen Chemiebetrieben
beinahe zum üblen Alltag geworden sind. Der extremste Störfall
im Pflanzenbereich ist der vollständige Ernteausfall. Dieser hat wohl
ökonomische Auswirkungen, versperrt jedoch in keinem Fall die Möglichkeiten,
im nachfolgenden Anbauzyklus ohne Beeinträchtigung wieder Stoffproduktion
vorzunehmen. Der extremste Störfall im Bereich der chemischen Synthese
besteht jedoch in der großflächigen Verseuchung nicht nur des
Produktionsbetriebs selbst, sondern auch seiner näheren und weiteren
Nachbarschaft. Neuere Untersuchungen zeigen, dass allein durch das mögliche
Entweichen eines unvermeidlichen Schlüsselreagens für einen der
bedeutendsten Massenkunststoffe (Phosgen für die Herstellung von Polyurethanen)
schwere Vergiftungen und Zehntausende von Todesfällen noch im Abstand
von 50 bis 100 km vom eigentlichen Fabrikstandort durchaus realistisch
sind. Die schweren Störfälle in Bhopal, Seveso, Schweizerhalle
und Frankfurt sind die traurigen Beweise, dass es sich dabei nicht bloß
um theoretische Möglichkeiten handelt. Es kommt hinzu, dass bei der
Betrachtung dieser massiven Störfälle die täglichen „normalen“
Emissionen aus solchen Anlagen noch nicht berücksichtigt sind.
These
8: Sondermüll kann vermieden werden
Auch unter dem Gesichtspunkt
der Abfallbildung sind die Naturprozesse, wie sie die Sanfte Chemie nutzen
und einsetzen will, den Syntheseprozessen der chemischen Industrie in qualitativer
(Art der Abfälle) und quantitativer Hinsicht (Menge der Abfälle)
so haushoch überlegen, dass ein direkter Vergleich fast unfair erscheint.
Während die Abfallprodukte der pflanzlichen Produktion in Gestalt
von Sauerstoff und kompostierbaren Pflanzenteilen direkt zur Aufrechterhaltung
des stofflichen Kreislaufes beitragen, sind die Abfälle der chemischen
Industrie in der Regel mehr oder weniger problematischer Sondermüll.
These
9: Die Sanfte Chemie schließt Stoffkreisläufe
Die Überlegungen
zu einer Sanften Chemie stützen sich nicht zuletzt auf die schlichte
Tatsache, dass in einer endlichen Welt die gängigen Produktionsverfahren
ohne wirklichen stofflichen Kreisschluss keine Zukunft haben werden:
In bald absehbarer Zukunft werden die bislang genutzten fossilen Ressourcen
als Quellen aufgezehrt sein, während andererseits auch die zur Verfügung
stehenden Deponierungsmöglichkeiten für die unvermeidlichen Abfall-
und Reststoffe chemischer Produktion als stoffliche Senken ausgeschöpft
sein werden.
Ein Buch als
Wegbereiter zu einer ökologischen Chemie
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Die gesamten Gedanken
finden sich in diesem Buch.
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