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"Es gab noch nie eine derart rasche Erwärmung"
Interview von Rudolf Burger mit dem Klimahistoriker Christian Pfister

Mit freundlicher Genehmigung und Unterstützung von Rudolf Burger
erschienen in der Zeitung Der BUND, Bern am 16.8.2003, Seite 3


 
Der Juni 2003 hat alle Temperaturrekorde gebrochen, und vermutlich wird das auch im August der Fall sein. Seit 15 Jahren halte jetzt die Erwärmung an, sagt der Berner Klimahistoriker Christian Pfister. Für ihn steht fest, dass sich das Klima rasch verändert, und die Zukunft sieht er pessimistisch: Das Kyoto-Abkommen sei "vermutlich gescheitert"; es fehle am politischen Willen, politisch zu handeln - auch in der Schweiz.
 
 
BUND: "Herr Pfister, erleben wir einen Jahrhundertsommer?"
 
Christian Pfister: "Was die Temperaturen betrifft, sicher. Der Juni war der wärmste seit 250 Jahren. Der August hat, wenn er so weitergeht, gute Chancen, ebenfalls der wärmste seit 250 Jahren zu werden, auch wenn es etwas abkühlt."
 
BUND: "Die Frage, die sich sofort stellt: Verändert sich das Klima?"
 
Christian Pfister: "Es hat seit dem Mittelalter immer wieder sehr warme Monate gegeben. Aber im Unterschied zu dieser Zeit sind wir jetzt seit 15 Jahren in einer anhaltenden Erwärmungsperiode. Beunruhigend ist dabei die große Zahl von 22 extrem warmen Monaten zwischen 1991 und 2000, die weitaus größte Anzahl seit 1500. Zuvor gab es davon pro Jahrzehnt nur etwa vier. Darüber hinaus haben wir im Moment die Tendenz, dass die Extreme immer extremer werden. Genau das hat die Wissenschaft vorausgesagt."
 
BUND: "Die Wissenschaft ist mit ihren Aussagen immer vorsichtig. Möglich ist doch, dass diese Temperaturabweichungen Ausreißer sind?"
 
Christian Pfister: "In der Vergangenheit standen solche Extreme in einem anderen Kontext. Dem heißen  Sommer 1947 ging ein kalter Winter voran, in dem der Rhein gefroren war, im Jahr des Sommers 1616 war die  Aare gefroren. Nach dem Sommer 1540, der im Hinblick auf die Länge der heißtrockenen Periode bisher noch extremer war als es in diesem Jahr der Fall war, folgte ein kühl- feuchter Sommer."
 
BUND: "Was also in der letzter Zeit fehlt, sind Ausreißer nach unten, die kalte Gegenbewegung?“
 
Christian Pfister: "Extrem kalte Monate haben bis 1988 immer zu unserem Klima gehört, so weit wir zurückblicken können. Die fehlen aber in den letzten Jahren.“
 
BUND: „Was macht Fachleute wie Sie so sicher, dass es sich um eine Klimaveränderung handelt?“
 
Christian Pfister: "Die heutigen Modelle können das Klima des 20. Jahrhunderts gut simulieren. Von daher ist anzunehmen, dass sie auch die künftige Entwicklung realistisch abschätzen können. Die Erwärmung verläuft schneller, als wir dies alle erwartet haben.“
 
BUND: „Wie halten Sie es mit dem Vorwurf ein Umweltschwarzmaler zu sein?“
 
Christian Pfister: "Ich möchte mich eher als Realisten bezeichnen. Wenn ich 1990 die heutige Situation vorausgesagt hätte, wäre ich als Panikmacher verschrien worden. Die Neunziger Jahre waren das Jahrzehnt der Verharmlosung. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir der Entwicklung ins Auge blicken.“
 
BUND: „Noch in den Siebziger Jahren war die Wissenschaft der Ansicht, es stehe eine Periode der Abkühlung bevor.“
 
Christian Pfister: "Diese Abkühlung war auf die Freisetzung von Schwefeldioxid in die Atmosphäre zurückzuführen. Es war eine vom Menschen gemachte Abkühlung, die damals gegenüber der vom Menschen gemachten Erwärmung eine gewisse Bedeutung hatte. Seitdem ist der Treibhauseffekt dominant geworden.“
 
BUND: "Kohle wird immer noch verbrannt - was also hat sich in den 30 Jahren seither geändert?“
 
Christian Pfister: "Seit 1950 hat die Verbrennung fossiler Brennstoffe gewaltig zugenommen, weil diese im Verhältnis zu den Löhnen und anderen Preisen immer billiger geworden sind. Noch in den Fünfziger Jahren hat ein Kilo Brot gleich viel gekostet wie ein Liter Benzin.
 
BUND: „Grund für den sogenannten anthropogenen Treibhauseffekt ist also die massive Zunahme der Erdöl-Verbrennung?“
 
Christian Pfister: "Ja, ein weiterer ist die Freisetzung von Methan, welches von den großen Rinderherden auf der ganzen Welt ausgestoßen wird.“
 
BUND: „Das Problem ist eigentlich erkannt, und es wird versucht, durch Klimaabkommen die Emissionen einzudämmen, Nützt das?“
 
Christian Pfister: "Das globale Abkommen von Kyoto ist vermutlich gescheitert. Das ist enttäuschend, aber die Geschichte zeigt, dass die scheinbar nutzlosen Ergebnisse langer Verhandlungen oftmals später von Nutzen geworden sind.“
 
BUND: Ein Abkommen unterzeichnen und es erfüllen sind zwei verschiedene Dinge: Die Schweiz hat das Kyoto-Abkommen unterschrieben, erfüllt es aber im Moment nicht.“
 
Christian Pfister: "Nein, das tut sie nicht. Das ist auch der Grund, warum der Bundesrat die CO2-Steuer implementieren muss, wenn er seinen Auftrag glaubwürdig erfüllen will.
 
BUND: „Wenn ein Land wie die Schweiz die Auflagen nicht erfüllt, ist das Kyoto-Abkommen doch eine Illusion.“
 
Christian Pfister: "Wenn der Wille der politischen Akteure und der Bevölkerung vorhanden ist, ein solches Abkommen zu implementieren, wird es möglich sein. Man muss auch an technologische Lösungen denken. So sind die USA dabei, sehr viel Geld in die Wasserstofftechnologie zu investieren.“
 
BUND: „Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass auch die USA das Kyoto-Abkommen unterzeichnen?“
 
Christian Pfister: "Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass Gesellschaften am ehesten dann reagieren, wenn die durch eine Serie von Ereignissen aufgerüttelt werden. Würden die USA von Umweltkatastrophen erschüttert, hätte das eine viel größere Wirkung, als wenn dies in Europa, in Indien, Pakistan oder Australien geschieht...“
 
BUND: „Länder wie China und Indien haben einen gewaltigen Nachholbedarf an Motorisierung. Sie werden ihre Emissionen kaum reduzieren, sondern auf westliches Niveau erhöhen.“
 
Christian Pfister: "China ist am Ausstoß schon massiv beteiligt. Sie haben aber Recht: Die westlichen Industrieländer haben kein Recht, vier- oder fünfmal so viel fossile Brennstoffe zu verbrennen wie Schwellenländer. Dies müsste in einem neuen Abkommen wohl berücksichtigt werden.
 
BUND: „Die pessimistische Variante wäre dies: Der Ausstoß an CO2 wird erst dann sinken, wenn es keine fossilen Brennstoffe mehr gibt. Solange muss die Menschheit warten.“
 
Christian Pfister: "Fossile Brennstoffe werden noch lange verfügbar sein. Auch wenn wir heute sofort die Notbremse zögen, ginge der Temperaturanstieg weiter, profitieren würden erst unsere Kinder und Kindeskinder.“
 
„BUND“: „Kann man darauf hoffen, dass die fossilen Brennstoffe teurer werden?“
 
Christian Pfister: "Die Periode billiger fossiler Brennstoffe wird in vielleicht etwa 10 bis 20 Jahren vorbei sein. Höhere Preise mögen Emissionen reduzieren, aber wenn die Verteuerung über den Weltmarkt liefe, hätte das verheerende Auswirkungen auf die Dritte Welt, wo der Preis der Nahrungsmittel mit dem Energiepreis eng gekoppelt ist. In vielen dieser Länder würden die existenziellen Grundlagen der Menschen gefährdet.“
 
BUND: „Nehmen wir ein Land wie die Schweiz - was ist so schlimm, wenn es etwas wärmer wird, ein bisschen mehr regnet und wir zum Skifahren etwas weiter hinauf fahren müssen?“
 
Christian Pfister: "Wenn das Mittelmeer immer wärmer wird, wird die Hochwassersaison in den Alpen länger. Katastrophen wie die Überschwemmungen in Uri, Brig, der Erdrutsch in Gondo werden dadurch potentiell häufiger.“
 
BUND: „Dagegen kann man sich mit Verbauungen wappnen.“
 
Christian Pfister: "Einverstanden. Wir können uns mit baulichen Maßnahmen bis zu einem gewissen Maß schützen. Aber die Klimaveränderungen treffen auch die Dritte Welt, wo es keinerlei Schutzmöglichkeiten gibt.“
 
BUND: „Das Klima hat sich schon immer verändert, der Mensch musste immer lernen, sich anzupassen. Was ist das Neue an der heutigen Situation?“
 
Christian Pfister: "Die Geschwindigkeit und Größenordnung der Veränderungen. Es gab noch nie eine derart rasche Erwärmung wie jetzt. Das überfordert die Gesellschaften und die Ökosysteme.“
 
BUND: „Die Klimaveränderung ist im Gang, Katastrophen kommen. Oder könnte man mit entschiedenem Handeln noch etwas bewirken?“
 
Christian Pfister: "Meine Generation - ich bin 59 Jahre alt - wird wenig bewirken können. Aber frühere Generationen haben immer auch mit Blick auf Kinder und Kindeskinder gehandelt. Heute leben manche Menschen nach der Devise „Nach mir die Sintflut“. Und sie haben auch keine Kinder mehr.
 
BUND: „Jetzt wird der Klimaforscher zum Gesellschaftskritiker?“
 
Christian Pfister: "Heute fehlt die Bereitschaft, Opfer für künftige Generationen zu bringen, nicht nur in der Klimapolitik...“
 
BUND: „Sind die Politiker zu wenig sensibilisiert?“
 
Christian Pfister: "Die Bevölkerung hat die Politik am 22. September 2000, als sie die Energievorlagen bachab geschickt hat, entsprechende Signale gesetzt. Seitdem sind erneuerbare Energien kein Thema mehr. Da wird der Rotstift besonders hart angesetzt.“
 
BUND: „Wäre es nicht an Ihnen als Forscher, sich auch politisch zu engagieren?“
 
Christian Pfister: "Dies würde meine zeitlichen Möglichkeiten überfordern, auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Ich beteilige mich aber am OcCC, dem beratenden Organ für Fragen der Klimaveränderung, wo die Politik über Forschungsergebnisse informiert wird.
 
BUND: „Wenn aber ein renommierter Klimaforscher wie Sie etwa bei den Grünen für den Nationalrat kandidierte, könnte er doch ein Zeichen setzen, wie ernst die Lage ist?“
 
Christian Pfister: "Dafür müsste ich meine wissenschaftlichen Aktivitäten derart reduzieren, dass ich als Wissenschaftler nicht mehr glaubwürdig wäre. Meine Arbeitszeit ist besser investiert, wenn ich für die Forschung zur Verfügung stehe.“
 
BUND: „Da kommt der alte Vorwurf vom Elfenbeinturm: Die Forschung tut zu wenig, um ihre Erkenntnisse unter die Leute zu bringen.“
 
Christian Pfister: "Hier muss ich Einspruch erheben. Ich stehe, wie jetzt, jederzeit den Medien zur Verfügung. Wir haben nun einmal eine arbeitsteilige Gesellschaft, in der die Forschung, die Politik, die Medien ihre Aufgaben haben. Ich gebe zu, dass die Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Politik verbessert werden könnte.“
 
BUND: „Hat ihre Forschung für Sie persönliche Konsequenzen - haben Sie ein Auto?“
 
Christian Pfister: "Nein, wir sind Mitglied bei „Mobility“, wo wir jederzeit ein Auto mieten können. Am schwierigsten sind persönliche Konsequenzen bei den Flügen zu ziehen. Wenn es darum geht, sich an Konferenzen zu beteiligen, besonders auch an Umweltkonferenzen, nimmt man das Flugzeug.“
 
BUND: „Böse formuliert: Für Ihre Reisen nach Amerika kann ich in der Schweiz noch lange Auto fahren.“
 
Christian Pfister: "So ist es. Meine eigene CO2“-Bilanz ist aus den erwähnten Gründen nur gerade durchschnittlich. Wenn man an manchen Konferenzen aber nicht präsent ist, wird man rasch einmal zum Nobody.
 
BUND: „Da geht es auch um den persönlichen Ehrgeiz des Wissenschaftlers.“
 
Christian Pfister: "Die Umweltgeschichte ist noch nicht etabliert. Mein Lehrstuhl an der Universität Bern wird nach meiner Pensionierung eingespart.“
 
BUND: „Auch da: Sie könnten die Politik einspannen, damit dieser Lehrstuhl nicht abgeschafft wird.“
 
Christian Pfister: "Das werde ich nicht tun. Ich muss darauf achten, Aufwand und Ertrag ins richtige Verhältnis zu bringen.“
 
BUND: „Wie sind Sie persönlich mit der Hitze der vergangenen Tage fertig geworden?“
 
Christian Pfister: "Mir hat das warme Wetter gut gefallen. Ich habe die Aare noch nie mit 24 Grad erlebt. Bern hat sehr viel Lebensqualität, um mit der Hitze fertig zu werden.“
 
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Christian Pfister, Jahrgang 1944, ist in Bern geboren und hat in Bern Geschichte studiert. Nach der Promotion, Studienaufenthalten in USA und England wurde er 1982 Privatdozent und 1990 außerordentlicher Professor. Seit 1997 ist er ordentlicher Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Bern. Pfister ist Autor zahlreicher Publikationen, u.a. auch des 1999 erschienen Buches „Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen 1496-1995“. Im Jahr 2000 wurde er mit dem Eduard-Brückner-Preis für herausragende interdisziplinäre Leistungen in der Klimaforschung ausgezeichnet. Christian Pfister ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.
 
 
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